Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde
sogar eine Mütze und Handschuhe, und über dem Arm den guten alten Popelinemantel.
Heiko hatte weniger Kleidung mit. Die meisten seiner erlaubten zwanzig Kilo waren von Filmmaterial, Fotos, Tonbändern und maschinegeschriebenen Berichten in Anspruch genommen.
„Morgen lunchen wir mit Mylady“, sagte Heiko. „Eigentlich ist das Fliegen eine feine Sache.“
Er legte unser Kleingepäck in das verschließbare Fach über den Sitzen, setzte sich, schnallte sich fest - dann nahm er meine Hand. „Schatz“, flüsterte er.
„Ja“, sagte ich.
„Wieso ja?“
„Ich antworte nur auf das, was du dachtest. Daß es trotz allem schön sein wird, allein zu sein. Ich meine, für eine Zeit zwei Individuen zu sein und nicht immer ein Drittel eines Forschungsteams!“
„Du bist ein Gedankenleser. Und außerdem ein Schatz“, sagte Heiko.
Dann heulten die Triebwerke ihre aufdringliche Melodie, und der Riesenvogel mit beinahe vierhundert Insassen hob sich in die Luft mit der Nase gen Norden gerichtet.
Wir froren wie die Schneider. London zeigte sich von der unfreundlichsten Seite.
Zähneklappernd gingen wir durch Paß- und Zollkontrolle. Es graute mir vor der Fahrt zum Bahnhof und vor den zwei Stunden im Zug.
Da steuerte ein großer Mann in Chauffeurlivree auf Heiko zu.
„Doktor Brunner, isn’t it? Lady Robinson hat mich geschickt, Sie abzuholen. Gestatten Sie, gnädige Frau.“, mein Koffer wurde mir abgenommen, und wir wurden durchs Menschengewühl geführt, auf einen Parkplatz, zu einer großen schwarzen Limousine.
„Ich habe ein paar Mäntel mitgebracht, Mylady meinte, es würde Ihnen kalt sein. Erlauben Sie, gnädige Frau.“
Was ich erlauben sollte, war anscheinend, daß dieser Engel in Chauffeurgestalt mir eine weiche, mollige Decke über die Knie legte.
„Heiko“, sagte ich, „dies ist zu schön, um wahr zu sein!“ Ich kuschelte mich zurecht in einem viel zu großen Mantel und in der schönen Decke. Ich legte den Kopf auf Heikos Schulter. Ich war müde nach der beinahe schlaflosen Nacht im Flugzeug. Das leise Brummen des Autos, das sichere Dahingleiten durch den Großstadtverkehr und nachher auf der Landstraße - das Gefühl molliger Geborgenheit - das alles lullte mich in Schlaf.
Sie kam uns in der Halle entgegen, unsere „Mylady“ - unsere gute Fee, der Mensch, dem wir unser ganzes Glück zu verdanken hatten. In dem gealterten Gesicht strahlten ein Paar blaue Augen -und ich dachte an meine erste Begegnung mit ihr, als ich sie nur „die mit den Augen“ nannte. Ja, diese Augen! So voll Güte, so voll Klugheit - ein Paar Augen, die einen nicht losließen.
Als ich sie das letzte Mal sah, besaß sie noch etwas AfrikaBräune. Jetzt war sie blaß und wirkte klein und mager in ihrem
schlichten, dunklen Kleid.
Sie reichte Heiko beide Hände, und sie sprach ihn auf deutsch an. „Wie schön, Sie wiederzusehen, Heiko, ich bin so froh, daß Sie da sind! Und Sonjalein - nein, wie sind Sie herrlich braun, und richtig runde Backen haben Sie gekriegt - es sieht beinahe so aus, als ob Sie sich in Afrika wohl fühlen!“
„Wohl fühlen ist gar kein Ausdruck, Mylady“, sagte ich. „Wir genießen jede Stunde, und wir zählen schon die Tage, bis wir zurückfahren! Mylady, wie geht es Ihnen selbst?“
„Oh, es geht. Man wird ja nicht jünger mit den Jahren, aber ich kann nicht klagen. So, Kinder, wir kriegen gleich Lunch, - Betty, Sie zeigen bitte den Herrschaften das Zimmer - ach ja, Sie sind ja schon mal hiergewesen, das war aber so kurz, - können Sie in einer halben Stunde fertig sein? Wissen Sie noch, wo das Eßzimmer ist? Fein, also bis nachher!“
Betty, an die ich mich von unserem damaligen Besuch erinnerte, eine nette junge Dame, Sekretärin und Kammerkätzchen, Friseurin und Krankenpflegerin, Gesellschafterin und - wenn Not am Mann war - Köchin, führte uns eine Treppe hoch in ein schönes, großes Zimmer mit Bad und Balkon. In dieser feinen Umgebung kam ich mir beinahe schäbig vor in meinem alten Kostüm - und gestern, in Afrika, hatte ich gefunden, daß ich elegant war! Aber alles ist ja relativ, und wenn man drei Jahre lang nur alte Blusen, verschossene Jeans und geflickte Shorts getragen hat, verliert man jeglichen Maßstab.
„Du mußt dir einen warmen Mantel kaufen“, unterbrach Heiko sein Rasieren. „Du kannst doch allein nach London fahren?“
„Ja, weißt du, das kann ich! Ich habe schließlich ein Jahr in England gewohnt - allerdings sind es acht Jahre her, aber trotzdem. Heiko,
Weitere Kostenlose Bücher