Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde
Schwimmbecken, genossen unseren Saft und schrieben Kartengrüße und in unsere Reisetagebücher.
Ich hatte zwei Tage lang nicht geschrieben und nun viel nachzuholen.
„Ist es nicht komisch, Tante Helene“, philosophierte ich. „Wir haben in diesen Tagen so viel erlebt, daß es eigentlich Gesprächsstoff für Wochen wäre! Aber die Ereignisse häufen sich so, daß wir gerade noch Zeit haben, sie als geschehen zu registrieren, und schon sind wir mitten im nächsten Ereignis! Der Tag bei den Papuas, zum Beispiel - was haben wir da alles gesehen und erlebt. Kaum hatten wir die Eindrücke intus, da kam das Erdbeben. Unter anderen Umständen hätten wir tagelang davon gesprochen. Nun haben wir es erlebt, fertig; dann ging es zum erneuten Eindrucksammeln! Dann alles auf der Trobriandinsel - und dazwischen Mrs. Stone mit ihrem Kinderhaß - oder mit ihren plötzlichen Erdbebenkenntnissen. Sie allein gibt Stoff zum Nachdenken und Gesprächsstoff für lange Zeit ab!“
„Ja“, pflichtete Tante Helene mir bei. „Ich gebe zu, daß ich die Frau gern näher kennenlernen möchte. Sie ist bestimmt tief unglücklich - wenn man bloß dahinterkommen könnte, was sie so hart und so - ja, so abweisend gemacht hat! Vielleicht hat sie eine sehr schwere Kindheit gehabt, wer weiß. Jedenfalls bin ich ihr keine
Spur mehr böse. Sie tut mir nur schrecklich leid, und ich.“
„Ssss, Tante Helene.“, warnte ich.
Denn aus Appartement Nummer fünfzehn kam eine schöne, schlanke Gestalt in einem blütenweißen Leinenkleid und mit frischgewaschenen Haaren und neu polierten Nägeln. Es war Mrs. Stone!
Allgemeines Staunen. „Ach, sind Sie auch hiergeblieben? Ich dachte, alle wären heut weg.“ Dann bat Tante Helene sie, sich zu uns zu setzen, und ich erbot mich, ihr ein Getränk zu holen. Ob sie Passionsfruchtsaft haben wollte?
„Kenne ich nicht“, wies sie ab. „Aber ein Glas Orangensaft, wenn Sie wirklich.“
Ich holte den Orangensaft von der Bar.
„Schade, daß Sie nicht den anderen ausprobieren wollen“, sagte Tante Helene freundlich. „Er schmeckt ganz wunderbar.“
„Ach.“ Mrs. Stone trank einen Schluck von ihrem Orangensaft, stellte das Glas hin und sagte - dabei war ihre Stimme so sonderbar trocken und ausdruckslos - „Ich habe in meinem Leben so viele merkwürdige und angeblich wunderbare Dinge runterwürgen müssen, daß ich jetzt froh bin, wenn ich selbst wählen kann und keine Experimente machen muß.“
„Und ich bin unheilbar neugierig auf alles Neue!“ sagte ich.
„Dann sind Sie als Kind bestimmt nicht gezwungen worden, fette Aale zu essen oder sogenannte exotische Gerichte mit brennendem Gewürz, oder Salate, die vor Öl nur so triefen. Und wenn Sie es nicht aufessen konnten, haben Sie ganz bestimmt nicht den Hintern voll gekriegt!“
„Um Gottes willen - haben Sie denn das?“ platzte es aus mir heraus.
„Worauf Sie sich verlassen können. Ich hatte einen Stiefvater, der für alle möglichen ausgefallenen Sachen schwärmte. Und wenn ich das Zeug nicht essen konnte, hieß es, daß ich wählerisch und trotzig sei, und dann ging es mit dem Rohrstock los.“
Sie stand jäh auf, ging ein paar Schritte, beugte sich und steckte die Hand ins Wasser des Schwimmbeckens.
„Schön warm“, sagte sie. „Sie waren schon drin? Ich glaube, ich ziehe schnell meinen Badeanzug an, ich schaffe es gerade noch vor dem Lunch.“
Sie leerte im Stehen ihr Saftglas. Als sie auf halbem Weg zum Appartement war, sah ich, daß sie ihren Schlüssel hatte liegen lassen.
Ich rannte ihr nach.
„Oh, vielen Dank - übrigens, Mrs. Brunner - was ich noch sagen wollte. es tut mir leid, daß ich Ihnen den Hund in Hongkong wegjagte.“
Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern ging schnell die paar Schritte zu der Appartementreihe, und im nächsten Augenblick war sie hinter Tür Nr. 15 verschwunden.
Nach dem Essen machten wir einen kleinen Stadtbummel. Die Straßen waren so breit, so hell, so sauber! Und beinahe leer! Was für ein Unterschied zu dem Ameisenhaufen Hongkong!
„Sieh bloß, Tante Helene, da ist Ausverkauf! Mensch, Kleider für zwei Dollar! Du, so eins kaufe ich mir, das ist genau das richtige für Ayers Rock, dann schone ich Sentas gute Sachen - und für KoalaUmarmungen und so was wäre es ja goldrichtig! Und nachher zu Hause!“
„Was meinst du mit ,zu Hause’“, fragte Tante Helene lächelnd. „Norwegen, Deutschland oder Kenya?“
„Kenya, natürlich! Oder dachtest du, ich könnte in Norwegen
Weitere Kostenlose Bücher