Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde
Unten nur die Pfähle, dann eine kleine Treppe hinauf in das „Haus“ - also den Raum, in dem die Familie lebte. Er war so niedrig, daß man unmöglich darin stehen könnte. Das ganze Leben schien sich vor dem Haus, auf einer Art Veranda, abzuspielen. Veranda ist vielleicht zuviel gesagt. Eigentlich war es nur ein breites Bord auf der Vorderseite der Hütte.
Da wurde gegessen, da wurde gewaschen, da saßen die Kinder und sahen uns komische Bleichgesichter an. Um die Hütten und unter den Hütten trotteten die kleinen schwarzen Schweine und suchten Abfälle.
Auch hier wurden uns „Eingeborenentanze“ geboten. Diesmal von jungen Mädchen und Frauen mit Strohröcken, Knöchelringen und bunten Ketten und Gürteln. Steinzeit hin, Steinzeit her - der Schmuck sah verdächtig nach Plastik aus!
Aber hübsch waren die jungen Tänzerinnen und anmutig in ihren Bewegungen.
Nur war es mir unbegreiflich, daß sie überhaupt bei dieser Hitze tanzen konnten!
Die meisten Dorfeinwohner hielten sich im Schatten auf. Hier saßen vier oder fünf Kinder um eine knallrote Plastikschüssel und aßen einen unbestimmbaren Brei mit den Fingern. Daneben hängte eine Frau Fische zum Trocknen auf. Überhaupt roch die ganze Siedlung nach Fischen!
Auf einer Treppe saß ein Mann, ließ sich nicht von Schweinen, Tänzerinnen und Touristen stören und aß Ölsardinen aus einer Dose!
„Eins ist mir klar“, sagte ich, als wir uns von dem Dorf verabschiedeten und in den Bus stiegen, der um die Bucht gefahren war und jetzt auf uns wartete. „Der Geschichtsunterricht in meinem Vaterland läßt viel zu wünschen übrig. Wir haben nicht in der Schule gelernt, daß die Steinzeitmenschen Schüsseln und Kochlöffel aus Kunststoff hatten oder daß sie schon Fischkonserven mit buntbedruckten Etiketts herstellten! Und Dosenöffner!“
„Oder Messer aus gutem deutschem Stahl“, fügte Mr. Nicol
hinzu.
„Und daß sie so viel von Geld verstehen!“ sagte Mrs. Connor, die gerade mit einem jungen Mann eine lange Unterredung gehabt und eine geschnitzte Holzschale von drei auf zwei Dollar runtergehandelt hatte.
Als wir im Bus saßen, machte Tante Helene wieder eine Notiz in das Büchlein, das ich respektlos „Das Meckerbuch“ nannte.
Es wäre besser, wenn man das Wort „Steinzeit“ auslassen würde!
Unterwegs zum Flugplatz machten wir eine Pause. Die Andenkenverkäufer standen wie eine dichte Mauer um den Wagen und reichten uns ihre selbstgemachten Holz- und Muschelsachen zum Fenster hinein. Es waren wirklich hübsche Dinge dabei. Und wir entdeckten keinen Ramsch, keine Massenartikel von einer Fabrik, sondern wirkliche Handarbeit. Ich kaufte zwei kleine Holzschalen mit fein geschnitzten Rändern. Eine für Heikos Eltern, eine für die meinen.
„Ja, solche Andenken kaufe ich auch gern“, sagte Tante Helene. „Am allerliebsten Dinge, die vor meinen Augen angefertigt sind, so wie die Brieföffner in Mount Hagen oder die ulkigen PapierHeuschrecken aus Hongkong, weißt du noch.“
„Tante Helene!“ rief ich. „Weißt du, wie lange das her ist? Mir kommt es vor, als ob wir vor Monaten in Hongkong waren, und dabei sind es erst vier Tage!“
„Und noch sieben, bist du Heiko triffst“, sagte Tante Helene und steckte ihre Holzschale in die Flugtasche.
Wir ruhen uns aus
„Dieser Tag hatte es wirklich in sich“, seufzte ich, als wir am späten Abend wieder in einem großen Flugzeug saßen. „Dies ist unser vierter Flug heute, und außerdem haben wir eine Einbaumfahrt und eine Busfahrt und einen Steinzeitbesuch hinter uns!“
„Eines sage ich dir“, kam es von Tante Helene. „Wenn morgen auch ein Ausflug in eine Diamantenmine mit gratis Selbstbedienung arrangiert wird, sage ich nein! Ich bleibe im Hotel, was es auch sein mag. Ich muß jetzt einen Ruhetag haben!“
„Tröste dich, ich habe nie von Diamantenminen in Australien gehört, und von Selbstbedienung erst recht nichts!“ antwortete ich. „Das einzige, was mich morgen bewegen könnte, wäre, wenn Heiko ein paar Busstunden weg wäre, oder wenn eine Koalakolonie.“ „Beides sehr unwahrscheinlich“, erklärte Tante Helene.
„Dann bleibe ich in Cairns, leiste dir Gesellschaft und wasche meine Haare. Auch auf die Gefahr hin, daß das Wasser nachher eine Verstopfung des Ausgusses verursacht. Ich habe ein Pfund Schmutz auf der Kopfhaut. Und wenn ich die Gelegenheit zum Schwimmen bekommen würde, wäre ich selig!“
„Hoffen wir also, daß das Hotel ein Schwimmbecken hat“,
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