Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde
sagte Tante Helene und hakte den kleinen Tisch in waagerechte Stellung. Die „Gulaschkanone“ - wie Heiko es immer nennt - wurde gerade in den Mittelgang geschoben, und unsere „Dinner“-Tabletts wurden verteilt.
Ich hatte einen Mordshunger. Ich aß Vorspeise, Filet, Gemüse, Brötchen, Butter, Käse und Pudding. Das einzige, was auf meinem Tablett übrigblieb, war eine angebrochene Salzpackung!
Endlich betrat ich australischen Boden!
Es war dunkel, als wir ankamen. Alle waren wir todmüde, aber wir mußten viel durchmachen, bevor wir zum Hotel fahren konnten. Unser Gepäck wurde sehr genau untersucht. Da wurde eine Schokoladentafel beschlagnahmt - dort ein paar Äpfel - eine Bonbontüte - und von mir nahm ein höflicher, aber unerbittlicher Zöllner unsere Morgenkaffee-Kekse.
„Es tut mir leid, Madam, aber so sind die Bestimmungen, und Sie kriegen bestimmt neue Kekse im Hotel!“
Wir hatten schon im Flugzeug ein langes Formular ausfüllen und auf Ehre und Gewissen erklären müssen, daß wir keine Tiere, keine
Sämereien, keine Pflanzen, kein Fleisch, keine Bakterienkulturen, keine Viren in unserem Gepäck hatten! Ja, und natürlich kein Obst, weder frisch, getrocknet, noch in Dosen!
Die lieben Australier waren vorsichtig, das muß man sagen!
Endlich, endlich waren wir mit unserem gekämmten und gefilterten Gepäck durch das Nadelöhr und konnten zum Hotel fahren.
Nein, wie war das schön! Es war ein Motel mit vielen kleinen Appartements, die wir direkt von dem schönen Garten erreichten. Alle zu ebener Erde, himmlisch bequem. Ein großes, schönes Zimmer mit Klimaanlage und dem geliebten Schnellkocher mit Zubehör. Ein herrliches Bad - und alles so pieksauber und wunderbar gepflegt.
„Nein, guck doch, Tante Helene - was ist das denn?“
Ich hatte eine Klappe an der Wand aufgemacht. Dahinter war ein Raum, ungefähr so groß wie ein großes Teetablett. Und hinter diesem Raum noch eine Klappe, die sich leicht aufschieben ließ, und dadurch guckte ich direkt in den Garten.
„Entweder Briefkasten oder Sondereingang für Einbrecher“, schlug Tante Helene vor.
Es zeigte sich aber, daß es eine Frühstücks-Durchreiche war.
Vor dem Zubettgehen brauchten wir nur unsere Frühstücksbestellung abzugeben und die Uhrzeit anzugeben, wann wir es wünschten. Dann wurde die nicht abschließbare Klappe von außen aufgemacht und das Tablett hineingestellt, und wir brauchten nur die Innenklappe aufzuschließen und das Tablett zu holen.
So was sollten alle Hotels haben!
Dieses Frühstück im Zimmer war der Grund, warum wir am folgenden Morgen keinen der Gruppengenossen sahen. Sonst war ja der Frühstückstisch der Sammelpunkt. Wir hatten Bescheid gegeben, daß wir an diesem Tag keinen Ausflug mitmachen würden. Als wir nach unserem friedlichen Zimmerfrühstück frisch gebadet, mit fein gebürsteten Haaren und wohltuend sauber angezogen aus dem Zimmer ins Freie traten, war unsere Gesellschaft weg. Wir gingen ein paar Schritte und wollten uns ein bißchen umsehen; da stieß ich einen Freudenschrei aus: Vor uns lag ein großer, herrlicher, vorbildlich gepflegter Swimming-pool!
Fünf Minuten später machte ich - trotz frisierten Haaren - einen Kopfsprung in das klare, beinahe lauwarme Wasser. Ich hatte das Becken ganz für mich. Wie habe ich das genossen! Dann kam auch
Tante Helene, sie schwamm ausgezeichnet, und ihr Körper war fest und schlank und muskulös wie bei einer Dreißigjährigen.
„Ja“, seufzte Tante Helene, als ich mich dazu äußerte. „Ich sage, wie Adele Sandrock - kennst du den Namen? Sie war eine bekannte Filmschauspielerin der dreißiger Jahre. Eines Tages betrachtete sie ihr faltiges Gesicht im Spiegel und seufzte: ,Wenn ich bloß begreifen könnte, warum all die Falten immer nur ins Gesicht kommen, wo doch überall sonst so viel Platz ist?’“
„Ich weiß nicht, Tante Helene.“, sagte ich sinnend. „Wenn man ein langes Leben hinter sich hat, wäre es so unnatürlich, wenn man nicht davon gezeichnet wäre. Eine Zwanzigjährige würde mit einem Babygesicht sehr unharmonisch aussehen, und eine alte Dame mit einem glatten Teenagergesicht wäre auch ein komischer Anblick. Ich mag dich genau so, wie du bist!“
„Das beruhigt mich ja sehr“, schmunzelte Tante Helene. „Eigentlich hast du ja auch recht. Glaubst du, daß du uns etwas zu trinken organisieren könntest? Passionsfruchtsaft zum Beispiel?“ Nichts war leichter. Kurz danach saßen wir unter schattenspendenden Palmen am
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