Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender

Titel: Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
Vom Netzwerk:
Morgenwanderungen mit Bernhard und Hasso wunderbar. Bernhard fuhr mit seinem Wagen bis zur Ecke des Wanderweges, dann machten wir unseren „Hundespaziergang“, und dann begleitete ich ihn. Ich sah das Haus seiner Eltern, einen schönen Bungalow mit einem großen Garten. Da wurde Hasso „ausgeladen“, und Bernhard und ich fuhren zusammen zur Uni.
    Wir lernten uns erst richtig kennen auf diesen Spaziergängen. Wir sprachen von der Kindheit und von unseren Zukunftsplänen, und wir stellten fest, daß wir viele gemeinsame Interessen hatten. Unsere Auffassungen über gut und bös, über schön und häßlich, über wertvoll und wertlos waren dieselben. Dann - wurde es ja nebensächlich, daß ich nicht folgen konnte, wenn Bernhard über Fußball sprach, und daß sein Interesse für Kreuzstichhühnchen nicht
    gerade glühend war!
    Dafür verstanden wir uns glänzend, wenn wir über die Probleme unserer Zeit sprachen. Über Rauschgift und Alkohol, über die Rowdybanden - drei Dinge, die wir in allerhöchstem Maße ablehnten! Dann erzählte Bernhard von seinen Reisen, und ich horchte „mit hungrigen Augen“, behauptete er. Warte bloß, sagte ich zu mir selbst. Wenn ich Zahnärztin geworden bin und Geld verdiene, dann werde ich auch reisen, und ich werde Mutti und Vati eine weite, wunderbare Reise in fremde Länder schenken!
    Wir beide liebten Tiere, und wir liebten die Natur.
    Außerdem liebten wir einander.
    Denise plauderte früh und spät über Weihnachten, und wie sie sich darauf freue, ihre „maman“ und ihren „petit frere“ wiederzusehen.
    Mit ihren geschickten Fingern hatte sie für Brüderchen ein Halstuch und für „maman“ ein Paar schöne Handschuhe gestrickt.
    „Freust du dich nicht auch unbändig?“ fragte sie mit strahlenden Augen.
    „Na klar!“ antwortete ich. „Worauf freust du dich am meisten?“
    „Oh, vielleicht auf meine neue Schwägerin, ach nein, am meisten auf Mutti und Vati!“
    Jetzt hatte ich das Lügen gelernt. Sie glitten mir glatt und gekonnt über die Lippen.
    „Und du, Xenia?“ fragte die unermüdliche Denise.
    „Ich, oh, ich weiß nicht. Ich habe nicht darüber nachgedacht“, antwortete Xenia. Sie stand auf - dieses Gespräch hatte am Nachmittags-Kaffeetisch stattgefunden. „Entschuldigen Sie, Frau von Waldenburg, ich habe so viel zu lernen.“
    Weg war sie. Gleich darauf ging ich auch. Ich hatte auch zu lernen, und ich mußte sehr fleißig sein, jetzt wo ich dreimal in der Woche ein großes Sprechzimmer, einen Flur, ein Labor und zwei Wartezimmer saubermachte! Die Zeit mußte ja eingeholt werden.
    Die Lüge, die mir am schwersten fiel, war die meinen Eltern gegenüber. Sie hatten gefragt, wie wir nun bei Frau von Waldenburg feiern würden, und ich setzte mich hin und dichtete ein ganzes Märchen über deutsche Weihnachtskuchen, über Weihnachtskrippen und Baumschmuck, über Rehbraten und Gäste am ersten Feiertag.
    Aber eins wußte ich. Gleich nach Weihnachten, wenn das Schlimmste überstanden war, wollte ich den Eltern die Wahrheit erzählen. Frau von Waldenburg sollte auch alles erfahren, wenn sie
    zurückkam!
    Und selbstverständlich Bernhard.
    Ich saß über meinen Büchern. Nur noch eine Woche bis zum Heiligen Abend. In neun Tagen würde ich das Schlimmste hinter mir haben.
    Ich versuchte zu lesen, aber es war furchtbar schwer, sich darauf zu konzentrieren. Dann klopfte es. Es war Xenia.
    „Entschuldige die Störung, Heidi. Ich wollte nur fragen. deine Wäsche im Waschraum ist jetzt trocken, könnte ich vielleicht die Leine jetzt benutzen?“
    „Aber selbstverständlich, Xenia, ich hole sofort die Sachen!“
    Ich sammelte meine Hemden und Höschen, Xenia sagte „vielen Dank“, und die Sache war erledigt.
    Arme Xenia. So freudlos, so schweigsam, so allein! Ich empfand keine Spur Bitterkeit ihr gegenüber wegen ihrer verletzenden Worte von damals. Wie gern hätte ich ihr die Hand gereicht und gesagt: „Wollen wir nicht Freunde sein, Xenia?“
    Aber ich wagte es nicht.
    Zu wem würde sie wohl fahren? Sie hatte ja keine Eltern, aber ein Zuhause mußte sie ja haben. Vielleicht hatte sie Geschwister, oder eine Großmutter oder andere Verwandte? Ich wußte ja, daß sie in einem Dorf in der Nähe von Jessicas Heimat aufgewachsen war. Na, dann hatte sie eine weite Reise vor sich.
    Nein, jetzt mußte ich mich um meine Arbeit kümmern! Um meine Studien! Schließlich sollten sie doch vorläufig der Hauptinhalt meines Lebens sein!
    Am zweiundzwanzigsten, abends, fuhr Denise

Weitere Kostenlose Bücher