Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
ich die beiden morgens ins Institut mitgebracht habe, und dann hat Lady Robinsons guter Engel, ihre rechte Hand, namens Betty, sich um die Kinder gekümmert, so daß ich mit Heiko zusammen arbeiten konnte. Wie mein eigenes trautes Heim dabei aussieht, kannst Du Dir nicht vorstellen. Der Staub liegt zentimeterdick und mein Plättwäschestoß ist so hoch wie der Mount Everest. Und nun ist was Furchtbares dazugekommen, daß besagte Betty, die immer unser Retter in der Not war, eine Nervenentzündung in dem rechten Arm bekommen hat. Versucht Ihr mal, halbjährige Zwillinge mit einem Arm zu pflegen! Außerdem will der Arzt sie unbedingt wegschicken. „Wenn Sie hierbleiben, schonen Sie sich doch nicht“, sagt er, und er hat recht.
Also, Kinder: Eine von Euch kann zu mir kommen, meinen Staub wischen, meine Wäsche plätten und unser Essen kochen. Die zweite kommt zu Lady Robinson, als ein Zwischending zwischen Stubenmädchen, Kammerkätzchen und Tierpfleger - einen Neufundländer und zwei Katzen - und dann als süße Abwechslung Windelwechseln und Babyfüttern. Du sagst, daß Xenia sehr schnell arbeiten kann, das wird sie auch tun müssen. Und du mußt beweisen, was die liebe Omi Hettring Dir an Hausarbeit beigebracht hat.
Ihr kriegt ein anständiges Gehalt, Flugreise hin und zurück, liebevolle Behandlung und gutes Essen, jedenfalls Xenia. Was Du kriegst, hängt von Deinen eigenen Kochkünsten ab. Habt Ihr den Mut, in dieses Durcheinander zu kommen? In dem Fall, bitte, bitte, telegrafieren, ich zahle das Telegramm, sagt, wann Ihr kommen könnt, damit wir die Flugkarten bestellen können, und gleich anfangen, sehnsuchtsvolle Striche in den Kalender zu machen!
Bitte, bitte, eile zum Telefon, wähle die Telegrammaufnahme! Tausend liebe Grüße, mein liebes Täntchen, natürlich auch an Xenia, Frau von W. und Bicky, von Deiner hilflosen Nichte
Sonja“
Xenias Augen wurden kugelrund.
„Heidi, das ist doch zu schön, um wahr zu sein!“
„Wollen wir ja sagen?“
„Und ob wir das wollen! Menschenskind, es ist ja wie ein Märchen!“
„Ruf du die Telegrammaufnahme an. Du kannst schließlich besser Deutsch als ich.“
Gleich darauf diktierte Xenia klar und deutlich ins Telefon: „Kommen sechzehnten Februar. Heidi und Xenia.“
Mit Xenia ins Ausland
Oh, was hatten wir alles zu tun!
Wir mußten uns wohl oder übel um unsere Garderobe kümmern. In unseren alten, abgetragenen Klamotten konnten wir uns nicht bei einer waschechten Lady zeigen! Also standen Xenia und ich an einem kalten, dunklen Montagmorgen als erste in zwei verschiedenen Schlangen, je mit einer Nummernliste in der Hand. Die Wartezeit war nicht gerade sehr unterhaltsam, kalt war es auch, aber es hat sich gelohnt. Als wir uns gegen neun Uhr an der Bushaltestelle trafen, hatten wir beide ein paar superbillige Blickfänger erwischt. Sachen, die als Köder ausgestellt und weit unter dem eigentlichen Wert verkauft wurden. Dann ergriff Denise die Initiative.
„Xenia“, sagte sie. „Du kannst mit der Perücke nicht nach England fahren! Seit Wochen jucken mir die Finger danach, dich zu frisieren.
Nun kommst du mit in den Waschraum, und du wirst ein blaues Wunder erleben!“
Sie verschwanden mit Kamm, Bürste, Handtüchern und etlichen von Denises Cremetuben und Sprayflaschen. („Ich habe eine Großtante, die eine Parfumerie leitet“, hatte Denise erklärt, als wir über ihr Schönheitsarsenal staunten.) Anderthalb Stunden später kam eine ganz neue Xenia zum Vorschein. Die Hälfte ihrer Haare waren der Schere zum Opfer gefallen, die restliche Hälfte war gewaschen, mit irgendeiner Wundercreme massiert, dann mit Denises geschickten Fingern schön eingelegt. Xenia sah einfach bezaubernd aus.
„Wenn es bloß halten würde!“ seufzte Xenia. „In einer Stunde sehe ich bestimmt wieder wie ein roter Heuhaufen aus. Meine Haare sind ja so schrecklich trocken!“
„Vitamin B!“ rief Tante Christiane. „Das gebe ich immer Bicky, wenn ihr Fell zu trocken und strähnig wird! Nicht wahr, Bicky, wir schenken der lieben Tante Xenia ein Glas von deinen Tabletten?“
Ob es Bickys Tabletten oder Denises Wundercreme war, weiß ich nicht. Aber Xenias Haare standen nicht mehr zu Berge. Sie bildeten jetzt einen hübschen Rahmen um ein feines, schmales Gesicht.
Unsere Pässe waren in Ordnung, die Flugkarten waren gekommen. Am Ende des Semesters konnten wir beide mit dem Resultat zufrieden sein. Wir konnten mit gutem Gewissen zu unseren neuen Aufgaben fahren!
Es
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