Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
geschenkt.“
„Das war es ja gerade, was ich fürchtete. Das wollte ich doch nicht, Bernhard! Ich wollte doch kein Geld von dir haben! Begreifst du das denn nicht?“
Er schüttelte den Kopf.
„Nein. Das begreife ich nicht. Ich dachte, du hättest Vertrauen zu mir.“
„Habe ich doch! Aber ich habe auch ein bißchen Stolz!“ Bernhard schwieg ein Weilchen. Dann sagte er langsam: „Und wenn ich daran denke, wie glatt dir alle Lügen rausrutschten, keine Sekunde hatte ich einen Verdacht! Das mit dem Onkel, der nach Deutschland per Auto fahren würde, das war natürlich auch eine Lüge?“
„Ja. Ich wollte doch nicht riskieren, daß du mich auf dem Kai abholen wolltest.“
Bernhard ließ den Motor an. „Es ist wohl besser, wenn wir zurückfahren.“
„Ja. Das ist bestimmt besser.“
Ich saß schweigend neben ihm. Schweigend und bitter. Kein Wort des Verständnisses, kein Versuch, sich in meine Lage zu versetzen.
Am Seitenweg, der zu unserem „Würfelhaus“ führte, hielt er. „Wie war es dann am Weihnachtsabend? Hast du denn als Märtyrer ganz allein gesessen?“
„Nein. Es zeigte sich, daß Xenia genau dasselbe getan hatte wie ich. Wir beide haben es zusammen urgemütlich gehabt.“
„Xenia. ach so, die! Ach, die war also die zweite! Ich dachte.“
„Was meinst du damit? Die war die zweite?“
„Ja, du hattest doch Frau Koss erzählt, daß du Weihnachten zu zweit gefeiert hattest.“
Da stieg eine handfeste Wut in mir hoch. Er wollte mich also auf die Probe stellen, mich kontrollieren! Ich glaube, ich habe Bernhard wie eine rasende Katze angefaucht: „So, das wußtest du also! Warum fragst du dann, ob ich allein war? Nebenbei gesagt, wenn es so gewesen wäre, hätte ich jedenfalls kein Märtyrer zu sein brauchen, nur ein Mädchen, das soviel Anständigkeit hat, daß es nicht um Geld bittet! Meine sechzigjährige Mutter hat sich einen Job suchen müssen, und dann sollte ich um Geld bitten! Das aber nebenbei. Aber daß du mich fragst, um zu kontrollieren, das ist gemein von dir! Du wolltest feststellen, ob ich wieder lügen würde. Du hast wahrscheinlich gedacht, daß ich mit irgendeinem Mann Weihnachten verbracht habe. Es ist möglich, daß ich dich enttäuscht habe, und du in deiner wohlhabenden und sorglosen Engstirnigkeit kannst natürlich nicht begreifen, daß man ab und zu zum Lügen gezwungen wird! Aber eins kann ich dir sagen: Die Enttäuschung, die ich dir bereitet habe, ist nichts im Vergleich mit meiner Enttäuschung über dich! Mehr habe ich nicht zu sagen. Aber es ist vielleicht gut, daß es so gekommen ist. Daß wir rechtzeitig entdeckt haben, daß wir nicht zusammenpassen!“
Ich stieg aus, knallte die Autotür hinter mir zu und lief das kleine Stück zum Haus, ohne mich umzudrehen. Ich hörte nur, daß der Motor gestartet wurde und daß der Wagen wegfuhr.
Daß ich an dem Abend zwei Taschentücher und ein Kopfkissen naß heulte, sei mir verziehen!
Die tapfere Xenia und die gute Sonja
Es war eine schwere Zeit, die jetzt folgte. Ich fühlte mich so schrecklich allein.
Bernhard hatte mir mehr bedeutet, als ich selbst wußte. Ich vermißte ihn bitterlich. Und ich war verletzt und gekränkt! Daß es ihm weh tat, daß ich gelogen hatte, das konnte ich verstehen. Aber daß er gar keine Einfühlungsgabe hatte, daß er keinen Versuch gemacht hatte, meine Lage zu begreifen, das tat mir weh. Und vor allem: Seine Andeutung, daß ich mich als „Märtyrer“ fühlen sollte. und dann das letzte: daß er versuchte, noch eine Lüge aus mir rauszulocken, daß er dachte, ich würde sagen, ich sei allein gewesen, nachdem er wußte, daß wir zu zweit Weihnachten gefeiert hatten. Daß er mich kontrollieren wollte!
Das hat mich maßlos gekränkt. Und wenn ich daran dachte konnte ich glatt der Versuchung widerstehen, morgens den Weg über die Weiße Brücke zu wählen.
So versuchte ich, mit Hilfe der Arbeit, Bernhard zu vergessen. Ich war fleißiger denn je, und jetzt hatte ich nichts, was mich von der Arbeit abhielt. Keinen Putzfrauenjob und keinen Freund.
Dafür hatte ich eine Freundin, und was für eine! Xenia war mir in dieser Zeit eine wunderbare Hilfe. Sie kam eines Abends rein zu mir und setzte sich auf die Bettkante.
„Heidi, ich weiß, daß ich dich störe, aber du mußt es über dich ergehen lassen.“
„Ja, meine Liebe, das macht doch nichts. Hast du etwas auf dem Herzen?“
„Ja, eine Frage. Kann ich etwas für dich tun?“
„Für mich tun. nein, wieso?“
„Heidilein,
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