Rywig 10 - Machst Du mit Senta
das muß ein phantastisches Land sein!’ Wir haben nicht viel Geld, wir haben uns diese Reise vom Munde abgespart. Mein Mann brauchte dringend einen neuen Wagen, er ist in seinem Beruf davon abhängig, unsere Wohnung müßte tapeziert werden. Oh, es gibt so allerlei. wir haben all das Geld in diese Reise gesteckt, um unserem Kind zu helfen. Lieber eine teure Reise als eine Entwöhnungsanstalt. Sie haben ja selbst gesehen, wie wenig es hilft.“
Jetzt übermannten sie die Tränen. Oh, wie tat sie mir leid! Ich hätte am liebsten mitgeheult! Was sollte ich bloß sagen? Etwas, was vernünftig war, nicht nur leere Worte?
„Frau Lander“, sagte ich zuletzt, „ich glaube, Isabel braucht kei-ne Entwöhnungskur. Wenn man bloß den Menschen finden könnte, der sie davon überzeugen würde, wie dumm, wie gefährlich dieses Trinken ist, dann würde Isabel sich noch einmal hundertprozentig für etwas einsetzen - nämlich für den Kampf, herauszukommen, raus aus dem Bann des Trinkens! Aber wer schafft es, ihren hundertprozentigen Willen zu mobilisieren?“
In dem Augenblick hörten wir eilige Schritte, unsere Tür wurde aufgerissen, und da stand Sonja.
„Frau Lander! Kommen Sie ans Telefon! Herr Weiden ist da -mit Isabel! Sie ist wohlauf! Kommen Sie!“
Herr Weiden ist da - da schlug ein Gedanke wie ein Blitz in meinen Kopf ein: Herr Weiden! Der nette, freundliche und intelligente junge Mann, der selbst eine unglückliche Liebe gehabt hatte, der so positiv über Isabel gesprochen hatte, der jetzt vierundzwanzig Stunden mit ihr verbringen mußte, bis wir alle am nächsten Abend in Jasper ankamen - würde er der Mensch sein, der Isabels hundertprozentige Einstellung mobilisieren konnte?
„Sonnie, erzähl!“ bat ich, als Frau Lander zum Telefon gerannt war.
„Es war genau wie du dachtest. Isabel schlief wie ein Säugling, bis ein Fahrgast sie zufällig entdeckte. Und das war kurz vor Jasper. Mehr weiß ich nicht, dann nahm Heiko den Hörer und ich rannte hierher!“ Frau Lander kam zurück. Noch mit verweinten Augen, aber mit einem Ausdruck - beinahe hätte ich gesagt, einem glücklichen Ausdruck im Gesicht.
Jetzt kam mein immer auf das Wohlergehen seiner Frau bedachter Göttergatte anmarschiert mit einem großen Tablett in den Händen.
„Hier, Senta, hier sind zwei Steaks und Salat und Brot, zeig was du kannst, sorg dafür, daß nicht nur Frau Lander, sondern auch du selbst was zu essen kriegst.“
Wir nahmen Frau Lander mit in unser Appartement. Während ich das Essen bereitete, erzählten Heiko und Frau Lander. Ja, Herr Weiden war in Jasper angekommen, ungefähr zwanzig Minuten nach dem Bus. Da hatte Isabel auf einer Treppe gesessen, ziemlich allein und klein und vor allem ohne Geld. Sie war Herrn Weiden fast um den Hals gefallen, so freute sie sich. Dann waren sie zum Telefon gelaufen - und jetzt wollten sie was essen und das mußte schnell geschehen, da das einzige Eßlokal um zehn abends dichtmachte. Und irgendwie würde es wohl mit dem Nachtquartier klappen, Herr Weiden hatte sowohl Geld als auch sehr gute englische Sprachkenntnisse. Jedenfalls bestand kein Grund mehr, sich zu ängstigen!
„Frau Lander, wollen Sie Ihr Steak medium haben, oder.“ rief ich von meiner Kochnische.
Frau Lander stand auf und kam zu mir. „Ja, bitte. Medium. -Wissen Sie, Senta.“ sie sprach ganz leise, so daß die anderen es nicht hören konnten, „Isabel sagte mir am Telefon, wir sollten beide versuchen, alles von gestern zu vergessen. Sie hätte es nicht ernst gemeint. Ihre Stimme klang so anders. wissen Sie. beinahe wie früher.“ Heiko und Sonja mußten zurück zu ihren Schützlingen, die noch im Barbecue-Zelt saßen. Als Rolf auch gehen wollte, bat Frau Lander ihn zu bleiben. „Ich habe ja die ganze Zeit Ihre Frau sozusagen beschlagnahmt, Herr Doktor. Bleiben Sie doch hier, es ist schließlich Ihr Appartement.“
„Ja, wenn Sie wollen. Ich muß zugeben, daß ich mich nicht zu der lauten Gesellschaft im Barbecue-Zelt zurücksehne. Am liebsten wären meine Schwägerin und mein Schwager und ich selbst bei Ihnen geblieben. Aber das Programm mußte ja weitergehen, sowohl unsere Gruppe als auch die englische Gruppe, die hier ist, sollten ja abgefüttert werden. Na, hoffentlich hat meine Frau Sie gut behandelt und sich als vernünftige Reisehosteß gezeigt!“
„Mehr als das“, sagte Frau Lander mit einem kleinen Lächeln. „Sie hat sich vor allem als ein guter Mensch gezeigt, das brauchte ich dringender als eine
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