Rywig 10 - Machst Du mit Senta
das uns nach Alaska führen sollte. Also hatte er viel mit Herrn Weiden zu besprechen, und natürlich auch mit Sonja, die sich am besten mit den verflixten Tagesabrechnungen auskannte. Mit anderen Worten, Rolf und ich fühlten uns überflüssig und suchten uns einen anderen Tisch aus. Es war ein Vier-PersonenTisch. Und als Fräulein Rothbaum erschien bat ich sie, sich doch zu uns zu setzen. Als vierter kam Herr Felber, der auch allein reiste.
Während wir uns notdürftig im Zimmer zurechtgemacht hatten, hatte ich Rolf über mein neues Vorhaben informiert. Ich wollte versuchen, die Alleinreisenden zusammenzuführen, versuchen, gemeinsame Interessen aufzuspüren - kurz gesagt, aus der Gruppe eine gemütliche Einheit mit Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen.
„Na, da hast du dir ja was vorgenommen“, sagte Rolf. Dann küßte er mich. „Eigentlich bist du ein nettes Mädchen, Sentachen. Ich mag dich ab und zu sehr gern leiden.“
Das ist Rolfs Art, das auszudrücken, das man früher, in mehr sentimentalen Zeiten mit den Worten „ich liebe dich“ formulierte!
Rolf kann phantastisch charmant sein, und außerdem sehr lustig. Es gelang ihm, unsere beiden Tischgenossen zum Lachen zu bringen, er taute sie sozusagen auf, sie wurden gesprächig. Ich erwähnte Jack London, Herr Felber biß sofort an, ja gewiß, er kenne seine Bücher. Rolf warf nette kleine Sätze dazwischen, hielt sozusagen die Gesprächsflamme brennend, Fräulein Rothbaum hatte ein paar Fragen, und allmählich bestritten die beiden bis jetzt so Schweigsamen die Unterhaltung und Rolf und ich konnten entspannen.
Aber das hatte mir Freude gemacht! Morgen würde ich zusehen, ob ich die streng aussehende Frau Hacker nicht auftauen konnte. Sie war ein anderer Typ, sie war reiseroutiniert und gewandt. Aber ich hatte sie nie in einem wirklichen Gespräch mit anderen gesehen.
Persönlich hatte ich jetzt einen einzigen Wunsch: Ich wollte für mein Leben gern wissen, wie alles mit Isabel verlaufen war! Daß sie heute keine „Fahne“ hatte, weder nach Alkohol noch nach Eukalyptusbonbons, hatte ich schon festgestellt. Aber wie war es gekommen, daß sie ein neues Gesicht hatte, einen neuen Ausdruck in den Augen? War es der gestrige Schock, der sie auf andere Gedanken gebracht hatte, oder hatte der kleine Jochen Weiden ein Wunder bei ihr vollbracht?
Als wir langsam zu unserem Zimmer zurückschlenderten, sahen wir Isabel. Sie stand auf dem Balkon vor dem Zimmer, die Arme auf dem Geländer.
„Hallo, Isabel! Wie geht es Ihnen?“ fragte Rolf.
„Oh, fein. Ich möchte bloß noch nicht schlafen gehen. Mutti ist ins Bett gegangen, aber ich bin gar nicht müde.“
„Kommen Sie doch mit uns, wir wollten gerade die Beine etwas vertreten.“
Sie kam etwas zögernd zu uns, und guckte sich dabei immer um.
„Wissen Sie vielleicht wo Joch. ich meine, wo Herr Weiden ist?“ Ich notierte mir das kleine Verplappern.
„Oh, der sitzt mit meiner Schwester und meinem Schwager zusammen und macht das Programm und die Abrechnung und kriegt Heikos Pflichten für drei Tage aufgehalst. Er verläßt uns morgen früh und kommt erst in Prince Rupert wieder zum Vorschein.“
„Ach so.“
Sie ging mit uns. Der Abend war angenehm kühl nach dem heißen Tag.
„Sagen Sie, wann sind Sie eigentlich gestern im Bus aufgewacht?“ fragte ich.
„Erst kurz vor Jasper! Ich habe wie eine Tote geschlafen. Und die Fahrgäste im Bus waren auch müde, die meisten machten ein Nik-kerchen, und kein Mensch hatte mich entdeckt. Sie staunten nicht schlecht, als ich plötzlich auftauchte und anfing, deutsch zu sprechen. Es dauerte eine Minute, bis es mir klar war, daß ich in einer ganz verkehrten Gruppe gelandet war, ich Schafskopf!“
Sie lachte ein wenig und erzählte weiter. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als bis Jasper mitzufahren. In ihrem mangelhaften Englisch hatte sie dann erklärt, wieso sie plötzlich da war. Sie brauchte für die Nacht ein Zimmer, ab morgen würde sie ja sowieso hier wohnen.
Es gab überhaupt kein freies Zimmer, alles war belegt. Und außerdem hatte sie keinen Ausweis, kein Geld, konnte nicht einmal die Mutter anrufen. An der Rezeption des Hotels bat man sie zu warten, man hatte alle Hände voll zu tun. Diese große englische Gruppe sollte ihre Zimmer haben, und ihr Programm für die nächsten Tage und so weiter.
Isabel fühlte sich überflüssig. Sie schlenderte ein bißchen umher auf dem großen Platz, überlegte sich krampfhaft, was sie machen sollte -
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