Rywig 10 - Machst Du mit Senta
aber das ging mich eigentlich nichts an! Den hatte ich sowieso aufgegeben.
Wir gingen früh zu Bett. Ich steckte nur den Kopf rein zu meiner rechnenden und zählenden Schwester, um gute Nacht zu sagen.
„Gute Nacht, Sentachen! Schlaf gut, und steh früh auf. Denk daran, daß du mitten in den Rocky Mountains bist, du mußt soviel wie möglich davon mitkriegen!“
„Du hast recht, wie beinahe immer. Schlaf gut, Sonnie, träume von Heiko!“
„Darum brauchst du mich nicht zu bitten, das tue ich sowieso“, sagte Sonja.
Ich war früh wach, schob mein Bett zurück in die Wand, wusch mich und zog mich in aller Ruhe an, ging dann rüber zu meinem Mann und riß ihn unbarmherzig - wenn man einen Kuß als unbarmherzig bezeichnen kann - aus dem Schlaf. Kurz danach saßen wir zusammen und sahen, wie die Sonne über den kanadischen Wäldern aufging. Wir schwiegen, hielten Händchen und waren glücklich. Und der Zug brachte uns immer näher an die Küste und zu neuen Erlebnissen.
Dann mußte ich meine Aufweckrunde machen. Bei Isabel mußte ich wiederholt klopfen, sie antwortete nicht. Ich ging hinein zu ihr. Sie schlief fest.
War ein schwacher Alkoholduft in dem kleinen Raum oder täuschte ich mich?
Auf dem Waschtisch stand eine Flasche Sonnenschutzöl. Es sollte doch nicht. Ich löste den Schraubdeckel. Ja, es war, wie ich befürchtete. Einwandfrei Whisky.
Herrgott, war sie schon wieder schwach geworden? War sie schon so abhängig, daß sie sich nicht mehr freimachen konnte?
Was sollte ich tun? Was sollte ich ihr sagen? Schimpfen würde nichts nützen. Liebevolle Nachsicht auch nicht.
Es war Isabel selbst, die das Problem löste. Sie rührte sich, drehte sich im Bett um, dann machte sie die Augen auf.
„Oh, Senta! Wie gut, daß du da bist!“
Wie ein kleines Kind, noch halb verschlafen, streckte sie die Arme aus. Ich beugte mich über sie und sie schlug die Arme um meinen Hals.
Sie hatte anscheinend selbst nicht gemerkt, daß sie mich duzte. Das durfte sie gern tun. Es war mir ein Beweis dafür, daß sie Vertrauen zu mir hatte, daß sie an mich und an unser Gespräch gedacht hatte.
„Was hast du denn, Isabel? Wolltest du mir vielleicht etwas beichten? Mir etwas erzählen?“
„Nicht beichten, nur erzählen. Weißt du.“Jetzt war sie wach und wurde sich ihrer eigenen Worte bewußt. „Oh, verzeihen Sie.“ „Laß man, Isabel. Ich komme aus einem Land, wo das Duzen gang und gäbe ist. Also, was wolltest du mir erzählen?“
„Ich habe es geschafft, Senta! Ich habe es geschafft!“
„Was hast du geschafft?“
„Das Zeug auszuspucken! Weißt du, ich konnte und konnte nicht schlafen, und ich war so allein, so furchtbar allein, und ich hatte solche Angst.“
„Wieso Angst? Warum hattest du Angst?“
„Ich weiß nicht. Nur so. Eben nur Angst. Und ich wußte, daß ein kleiner Schluck mir helfen könnte - so, wie du es bestimmt erlebt hast, daß ein Zug von einer Zigarette dich beruhigen könnte.“
„Und dann hast du nur ein ganz kleines Schlückchen genommen?“
„Nein! Ich habe nicht! Ich habe nicht! Ich habe etwas in das Zahnputzglas gegossen, es war zwei Uhr und ich konnte immer noch nicht schlafen, es war schrecklich. Dann habe ich getrunken, nein, nicht getrunken! Ich hatte es schon im Mund, und dann. ja, dann ging es mir durch den Kopf, wie ein Blitz, alles was du mir gesagt hattest, und ich dachte an Jochen. und dann dachte ich gar nicht mehr, ich habe das Zeug ausgespuckt! Jetzt bin ich stolz, Senta! Es war nämlich schwer, es war verdammt schwer, man muß so was erlebt haben, um zu verstehen, wie schwer es war! Aber es ging! Ich habe es geschafft!“
„Bist du denn jetzt glücklich?“
„Ja, ich bin es! Jetzt weiß ich, ich kann mich beherrschen, ich kann den Alkohol vergessen. Heute werde ich das ganze Zeug ausgießen.“
„Du meinst das in der Sonnenölflasche?“
„Das hast du entdeckt? Ja, das meine ich. Das ist der Rest. Mehr habe ich nicht. Ehrenwort!“
„Soll ich es in das Waschbecken gießen?“
„Ja! Bitte schnell, bevor ich auf dumme Gedanken komme!“ Ich ließ es mir nicht zweimal sagen. In der nächsten Sekunde blubberte der letzte Rest Whisky aus dem ,Duty-Free-Shop’ im Hamburger Flughafen durch das Abflußrohr des Schlafwagens.
„Isabel, ich bin sehr, sehr froh!“ sagte ich. „Und ich bin stolz auf dich. Aber jetzt mußt du aufstehen! Dein Jochen ist bestimmt schon längst auf und wartet auf dich.“
„Und ich kann ihm mit gutem Gewissen in die Augen
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