Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
vom Strandufer hören.
Kein Zweifel. Hier ließ das Leben sich aushalten!
An diesem ersten Tag unternahmen wir nichts. Wir lernten das Haus und den Park kennen, wechselten ein paar Worte mit anderen Gästen - und aßen, leider Gottes, viel zu gut und viel zuviel.
Es wurde nach interkontinentaler Art gegessen. Lunch gegen dreizehn Uhr, und das große Mittagessen erst abends. Als ich den Lunchtisch sah, traute ich meinen eigenen Augen nicht. Es war ein kaltes Büfett aufgetischt mit so viel herrlichen Sachen, daß ich sofort für meine „Linie“ schwarz sah. Lieber Himmel, war das üblich in Norwegen? Ich versuchte, die unzähligen Schüsseln und Platten zu zählen, mußte es aber aufgeben - wie ich schon gesagt habe, ist Mathematik nicht meine starke Seite, und hier müßte man rechnen können!
Und nachdem wir uns von den kalten Delikatessen nudelsatt gegessen hatten, kam ein warmes Gericht und ein Nachtisch! Ich wollte mir die Süßspeise schenken, aber als sie sich als frischgepflückte Walderdbeeren mit Sahne entpuppte, schmolzen meine guten Vorsätze dahin.
Ich würde wie eine Kugel in Deutschland angerollt kommen!
Bewegung mußte ich mir verschaffen! Aber wie? Ich konnte ja keinen Augenblick Frau Felsdorf aus den Augen lassen. Die große Hauptstraße war gefährlich nahe, und gegenüber vom Hotel war ein Andenkenladen. Wenn nun Frau Felsdorf plötzlich die Idee käme, dort etwas zu kaufen und sich in das Gewühl des
Nachmittagsverkehrs zu stürzen! Ich wußte genau, was Frau Doktor Oberbach gesagt hatte: „Es ist ein wahres Wunder, daß sie nie von einem Auto angefahren worden ist!“
Nun war also der erste Ferientag zu Ende, und ich stand am Fenster und ließ den Blick über das dunkle seidenblanke Meer gleiten. Jetzt da draußen in einem Boot sitzen - mit einem netten Menschen, mit einer guten Freundin oder einem Freund - ja, mit Hartmut!
Ob er auch für eine solche schöne Abendstimmung zu haben wäre? Konnte er ein bißchen Sentimentalität aufbringen, oder würde er dann auch nur nüchtern und sachlich sein?
Ich guckte rein zu Frau Felsdorf. Sie schlief fest. Ach was - eine Viertelstunde konnte ich schon weggehen, nur eben schnell zum Strand und zurück. Eine Viertelstunde nur Allegra zu sein und nicht Babysitter oder Betreuerin oder Gesellschafterin oder Kammerkätzchen.
Ich schlich hinaus, machte die Tür lautlos hinter mir zu.
Als ich aus dem Korridor in die Halle um die Ecke ging, stieß ich mit einer Dame zusammen. In der Verwirrung entschlüpfte mir ein „Oh, Verzeihung!“ statt des schwedischen „Förlat“ oder des norwegischen „Undskyld!“
Die andere blieb stehen. „Sagen Sie - sind Sie Deutsche?“
Ich bejahte es. „O wie herrlich! Ich habe eine Woche lang meine Muttersprache nicht gesprochen!“
„Was sprechen Sie dann?“ fragte ich.
„Ein sonderbares Norwegisch. Ich bin mit einem Norweger verheiratet, und mit ihm spreche ich deutsch, aber hier muß ich ja wohl oder übel die Muttersprache meines Mannes radebrechen. Mein Mann hat mich nämlich hier untergebracht, zwecks Erholung, und kommt nur zum Wochenende mich besuchen.“
Ich sah meine Landsmännin an. Sie war jung, ich würde sie so um fünfundzwanzig schätzen. Ein frisches, offenes Gesicht, eine angenehme Stimme.
„Bleiben Sie noch lange hier?“ fragte ich.
„Mindestens noch zwei Wochen. Und Sie?“
„Wahrscheinlich drei.“
Ich erzählte, wieso und warum ich hier gelandet war, und daß mein achtzigjähriger Schützling jetzt schlief. Ich wollte eben runter zum Strand gehen.
„Darf ich mitkommen?“
„Und ob! Furchtbar gern!“
Sie hieß Barbara Flagtvedt, kam aus Kassel und war seit einem Jahr in Norwegen verheiratet. Im Winter war sie krank gewesen, der Arzt hatte Seeluft empfohlen, und deswegen war sie nun hier.
„Schön ist es ja hier“, sagte sie. „Aber ich bin so total unbegabt in puncto Sprachen, es ist ein Skandal, wie wenig Norwegisch ich gelernt habe, und das hat zur Folge, daß ich keinen richtigen Anschluß mit anderen Menschen finde. Oh, wie ist es doch himmlisch, wieder sprechen zu können!“
Wir wanderten vielleicht zwanzig Minuten am Strand entlang, ich erzählte, wieso ich hier gelandet sei. Ich gab ihr auch ein paar Kostproben von der Unternehmungslust meiner kleinen Gnädigen, erzählte von ihrem Blumengießen, Apfelschälen und anderen Sachen.
Barbara lachte hellauf.
„Ach, die Dame muß ich unbedingt treffen! In ihrer Gesellschaft langweilt man sich bestimmt
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