Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
Pflaster. Dann wieder auf die neue, breite, bequeme Hauptstraße.
Hier war Kristiansand, die Stadt, wo wir mit dem Schiff angekommen waren. Weiter - nach Fotopause, auf Wunsch der vielen Fotografen - an Sommerhäuschen, kleinen Bauernhöfen und Hotels entlang.
Dann erreichten wir den berühmten südlichsten Punkt, Lindesnes.
Frau Felsdorf sah verzückt auf das Meer, auf die kleinen braunen Fischerboote und die Sportsegler, die hier einen frischen Wind hatten und mit gesetzten Spinnakern nur so dahinbrausten. Wie müßte das schön sein, einmal in einem solchen schlanken, weißen Boot unter gespannten Segeln zu sitzen und so über das Meer hinwegfliegen!
Frau Felsdorfs Gesichtsausdruck änderte sich. Ich kannte diese Nuancen jetzt, ich wußte, daß ihre Gedanken zurück in der Zeit waren, wo sie wach und bewußt und intelligent war, sie erinnerte sich an irgend etwas.
Ja, ganz richtig, da kam es: „Wissen Sie, Spatz, wie lang Norwegen ist?“
„Wie lang? Nein.“
„Wenn Sie nun eine riesengroße Schraube hier einschrauben würden, genau hier, wo wir stehen, und ganz Norwegen um diese Schraube drehen bis die Nordspitze im Süden wäre, wo glauben Sie wäre sie dann?“
„Die Nordspitze - ich weiß nicht - vielleicht irgendwo in Deutschland?“
„Nein, in Rom! Es stimmt wirklich. Mein Mann zeigte es mir einmal auf der Karte. Er schnitt den Umkreis von Norwegen vom Papier aus und steckte eine Stecknadel am Lindesnes durch, und drehte - und wirklich, die Nordspitze, Nordkap, landete in Rom!“
Ein Herr, der in der Nähe stand und anscheinend Deutsch verstand, nickte lächelnd.
„Die Dame hat recht. Übrigens ist es auch ganz komisch, daran zu denken, daß wir nur ein ganz klein wenig südlicher als die Südspitze von Grönland sind und auf demselben Breitengrad wie das südliche Alaska.“
Wieder änderte sich Frau Felsdorfs Ausdruck. Der helle Augenblick war vorbei.
„Warum ist nun die nette junge deutsche Dame nicht mitgekommen?“
„Die Barbara? Sie hat doch heute Besuch von ihrem Mann.“
Wir hatten ihn vor ein paar Stunden am Frühstückstisch kennengelernt! „Ach, ist sie schon verheiratet?“ sagte Frau Felsdorf.
Dann ging es zurück, diesmal fuhren wir ein Stück auf dem alten idyllischen Weg mit Gärten, hübschen Wohnhäusern und kleinen Anlegebrücken mit Badehäuschen und Booten. Hier zu wohnen -das müßte ja das reinste Paradies sein!
Der Weg war anscheinend beliebt, sonst wäre wohl nicht ein kleines Caf6 mit Eis und Getränken hier gewesen. Aber da war es nun, und der Bus hielt.
„Wenn jemand was trinken möchte.“, sagte der Fahrer. „Wir können hier eine Viertelstunde Pause machen.“
Frau Felsdorf hatte Durst, ich übrigens auch, und wir tranken schnell einen Sprudel. Frau Felsdorf guckte sich um. Ihre Augen blieben an einem international verständlichen Schild hängen: „Toilette“ und darunter ein orientierender Pfeil.
Ich hatte denselben Wunsch, also gingen wir los. Der Pfeil zeigte zur hinteren Ausgangstür. Dahinter befand sich das Ziel unserer Wanderung in einem kleinen Hinterhaus.
Ich ließ Frau Felsdorf den Vortritt und wartete im Vorraum am Waschbecken. Dann war ich an der Reihe und legte Frau Felsdorf nahe, unbedingt hier im Vorraum zu bleiben, ich käme gleich.
Das tat ich auch, aber dann war der Waschraum leer. Nanu, wo war sie denn geblieben? Wahrscheinlich zurück ins Lokal, sie hatte bestimmt vergessen, daß wir unseren Sprudel schon bezahlt hatten.
Nein. Im Lokal war sie nicht.
Um Gottes willen - war sie denn direkt vom Toilettenhäuschen auf die Straße gegangen? Und warum?
Warum - das bekam ich nie zu wissen. Denn in dem Augenblick wo ich aus der Tür rannte, hörte ich Schreien, Schreien von vielen Menschen - und quietschende Bremsen von einem Auto, das mit Gewalt zum Stehen gebracht wurde.
Um Gottes willen - o lieber Gott - bitte, das nicht - vielleicht war es ein Hund oder eine Katze.
Dann sah ich sie.
Sie lag vor dem Auto, mit geschlossenen Augen, mit einer Wunde an der Stirn, sie lag in einer merkwürdig verdrehten Stellung.
Nein, nein! Das konnte nicht wahr sein! O lieber Gott, laß es ein Traum sein, lieber Gott, laß mich aufwachen - es darf nicht wahr sein!
Aus dem nächstliegenden Haus kam ein Mann gerannt, da kam noch einer, da kam der Cafebesitzer. Ich hockte neben der bewußtlosen Frau Felsdorf, ich versuchte, mit meinem Taschentuch das Blut von ihrer Stirn wegzuwischen, und die Tränen liefen mir übers Gesicht.
Aus dem
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