S - Spur Der Angst
King ihm bereits Bericht erstattet. Das war ja schnell gegangen.
»Ich werde ihre Klassen übernehmen und brauche dringend detailliertere Informationen.«
»Julia«, sagte er so sanft, dass sie Gänsehaut bekam, »da steckt doch mehr dahinter, nicht wahr?«
Sie fühlte sich wie ein Schmetterling, den man gefangen und bei lebendigem Leibe an eine Schautafel gesteckt hatte. »Ja …«, sagte sie langsam. Ihre Gedanken überschlugen sich. »Ich möchte einfach wissen, was vorgefallen ist, und vor allem, wer von den Schülern betroffen war. Ich möchte sensibel sein für die Bedürfnisse meiner Schüler, und das kann ich nicht, wenn ich nicht weiß, ob einer von ihnen erst kürzlich auf irgendeine Art und Weise verletzt wurde.«
Lynch beobachtete sie aufmerksam, die Fingerspitzen unter dem Kinn zusammengelegt. »Das ist verständlich, aber das nächste Mal kommen Sie doch bitte zu mir. Sprechen Sie mit mir persönlich. Wir wollen doch kein böses Blut auf dem Campus provozieren, nicht wahr?«
Sie nickte, und er erhob sich, die Unterredung war vorbei. »Ich hoffe, Sie teilen unsere Vision und unser Engagement«, sagte er.
»Es ist mir eine Herzensangelegenheit, jungen Menschen zu helfen«, sagte sie, was der Wahrheit entsprach.
»Das ist gut. Genau das, was ich hören möchte.« Er kam um den Schreibtisch herum und umschloss mit beiden Händen ihre Hand. »Es tut mir nur leid, dass Sie ausgerechnet in diesen schwierigen Zeiten zu uns stoßen. Doch auch die werden wir mit Gottes Hilfe durchstehen.« Er drückte ihre Hand. »Willkommen, Julia Farentino.« Er lächelte breit, fast wissend.
Jules spürte, wie sich die Härchen auf ihren Armen aufstellten. Wusste er tatsächlich Bescheid? Sie zwang sich, sein Lächeln zu erwidern. »Ich kann es gar nicht abwarten, mich an die Arbeit zu machen«, log sie, als er ihre Hand endlich losließ. Dann dankte sie ihm für die Möglichkeit, mit diesen Kindern arbeiten zu können, zog ihre Daunenjacke an und fragte sich, was er bloß an sich hatte, das sie so nervös machte.
Als sie die Kirche verließ, dachte sie wieder an die Akten, die er in seinen Schrank geschlossen hatte. Waren es Duplikate von den Unterlagen, die Charla King im Verwaltungsgebäude aufbewahrte, oder andere? Es wäre doch reine Zeitverschwendung, alles doppelt anzulegen! Nein, sie vermutete, dass Tobias Lynch eigene Akten über sein Personal anlegte, inoffiziell und moralisch bestimmt nicht einwandfrei.
Draußen schneite es wieder stärker. Jules heftete die Augen fest auf den vereisten Pfad, der von Laternen erhellt wurde, und hastete von einer Lichtpfütze zur nächsten. Sie wusste, dass Lynch sie aus dem Fenster beobachtete, sie hatte seine Silhouette gesehen.
Ein Mann Gottes?
Ein Mann reinen Glaubens?
Das wagte Jules zu bezweifeln.
Kapitel siebenundzwanzig
T rent wärmte sich am Kaminfeuer, nippte an einem Kaffee vom Vortag, den er sich noch einmal aufgewärmt hatte, und dachte über den Mord an Nona nach. Er hatte bislang vergeblich versucht, die Tat mit dem Verschwinden von Lauren Conway in Verbindung zu bringen, doch irgendwie, da war er sich sicher, waren diese beiden rätselhaften Vorfälle miteinander verknüpft.
Er hatte Stunden damit verbracht, alles noch einmal durchzugehen, was mit Nonas verhängnisvollem nächtlichen Ausflug in den Stall in Verbindung stand. Er nahm an, dass sie Shaylees Baseballkappe getragen hatte, genau wie in der Nacht, in der er das Fohlen draußen entdeckt hatte. Vermutlich war das Einjährige unbemerkt hinausgeschlüpft, als sich Nona und Andrew zu einer schnellen Nummer in den Stall geschlichen hatten. Später, als sie wieder gegangen waren, war Trent zufällig auf sie gestoßen.
Momentan ging er davon aus, dass Shaylee Stillmans Kappe zu Nonas Tarnung gehört hatte. Nona musste sich die Kappe »geborgt« haben für den Fall, dass irgendwo versteckte Kameras angebracht waren oder jemand von der Lehrerschaft sie entdeckte. Da alle Schüler weite Sweatshirts, Schuldaunenjacken und Jeans trugen, wäre die Kappe die einzige Möglichkeit gewesen, den Betreffenden zu identifizieren.
Pech, dass sie auf dem Heuboden liegen geblieben war und nun Jules’ Schwester ihren Kopf hinhalten musste.
Trent leerte seine Kaffeetasse und dachte an das Pärchen, das er neulich nachts belauscht hatte. Die junge Frau war nahezu panisch gewesen, der Mann hatte versucht, sie zu beruhigen, und ihr versprochen, sie zu beschützen. Waren das tatsächlich Schüler gewesen? Drew und
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