S - Spur Der Angst
der ihren »Trupp« leitete. Was für ein bescheuerter Ausdruck!
Sein Haar war etwas länger als das der anderen, seine Haut gebräunt von der frischen Luft, obwohl es erst März war. Irgendetwas an ihm bereitete ihr Kopfzerbrechen. Wie hieß er noch gleich?
Mister Trent?
Hm. Bei dem Namen Trent läutete es, aber sie war sich ziemlich sicher, ihm nie zuvor begegnet zu sein. Sie hätte sich bestimmt an ihn erinnert, denn er war ziemlich sexy.
Wer war er? Wieder ließ sie sich auf die Sofalehne fallen, schlug die Beine übereinander und trommelte mit den Fingern auf ihren Oberschenkeln.
Er war anziehend, auf eine schroffe, cowboyhafte Art und Weise, auf die so viele Frauen abfuhren. Aber er war alt. Mit Sicherheit über dreißig. Vielleicht sogar schon Mitte dreißig.
Und dann erst der Jugendbeauftragte! McAllister. Vater Jake. Ob er Priester war? Sie fragte sich, wo er jetzt sein mochte … ob sie ihn bald wiedersehen würde. Er hatte etwas an sich, das so gar nicht zu seinem Klerikerkragen passen wollte …
Plötzlich schwang die Glastür zum Wohnbereich auf.
Erschrocken hob Shay den Kopf und sah, dass Dr. Williams mit einem breiten Lächeln zu ihr hereingeeilt kam. Sie wurde begleitet von Nona, ihrer blassen Zimmergenossin mit den großen, ausdruckslosen Augen und dem strähnigen Haar, das so dünn war, dass die Ohren hindurchlugten.
»Hi, Shaylee«, sagte Dr. Williams mit einer zuckersüßen Stimme, die Shay schon jetzt verabscheute. »Ich finde, Nona und du solltet euch ruhig ein bisschen beschnuppern.«
»Hi«, sagte Nona schleimig.
Shay erwiderte nichts.
»Nona kommt aus Indianapolis«, fuhr Dr. Williams fort.
Toll.
»Sie ist jetzt – wie lange bei uns? Zehn Monate?«
Zehn Monate? Auf keinen Fall! Shaylee erschauderte innerlich. Sie würde sterben, wenn sie so lange hierbleiben müsste.
»Fast elf«, korrigierte Nona und tastete nach einem feinen silbernen Kreuz, das von einer Kette um ihren Hals baumelte. Obwohl ihre Bewegungen scheu waren, bemerkte Shay etwas in ihrem Gesichtsausdruck, das ihre Unterwürfigkeit Lügen strafte, ein Funkeln in den Augen, das auf eine starke Persönlichkeit hinter der frommen, mausgrauen Fassade schließen ließ.
»Warum bist du dann meine Zimmergenossin?«, fragte Shay. »Ich dachte, jeder würde ein eigenes Zimmer zugeteilt bekommen. Das haben Sie doch gesagt, oder nicht?« Ihr Blick schweifte von Nona zu der Vertrauenslehrerin.
»Nona überlegt, uns nach den Prüfungen als CB zu unterstützen«, erklärte Dr. Williams stolz.
»Warum?« Shay konnte sich nicht vorstellen, auch nur eine Sekunde länger als nötig auf dem Campus zu bleiben.
»Es ist eine Chance«, erwiderte Nona. »Hier in der Blue Rock Academy habe ich unglaubliche Möglichkeiten entdeckt, einen ganz neuen Lebensweg. Neues Gottvertrauen und Vertrauen in mein Land.« Sie verzog die Lippen zu einem seligen Lächeln, als wäre sie erfüllt von göttlicher Erkenntnis.
Oder wäre einer Gehirnwäsche unterzogen worden.
Shay wurde übel. Nona war nichts anderes als eine Marionette, die ein einstudiertes Stück aufführte. Der ganze Ort war völlig surreal, abgedreht.
»Willst du nicht wieder nach Hause?«
»Nicht, bevor ich bereit dazu bin.«
»Ich bin jetzt schon bereit«, verkündete Shay. Dr. Williams lachte leise, ein wissendes Lachen, das Shay auf die Nerven ging. Das Gespräch plätscherte dahin, belangloses Zeug, das dazu dienen sollte, Shay aus ihrem Schneckenhaus zu locken und ihr ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Wohl kaum!
»Wir müssen jetzt los, Shaylee«, teilte ihr Dr. Williams schließlich mit einem strahlenden Lächeln mit. »Aber morgen kannst du mit Sicherheit zusammen mit Nona ein eigenes Zimmer beziehen!«
»Wow! Wie bei einer Pyjamaparty aus den Fünfzigern? Und ich habe gar nicht meinen Tellerrock eingepackt!«
»Autsch«, sagte Dr. Williams, aber sie lachte.
Nona die Fromme starrte sie an. Bildete sie es sich nur ein, oder musste sich ihre zukünftige Zimmergenossin tatsächlich ein Lächeln verkneifen?
Shay blickte den beiden hinterher, als sie durch die Glastür verschwanden. Sie hatte das deutliche Gefühl, dass mit Nona Vickers etwas nicht stimmte. Hinter der devoten Fassade mit dem Silberkreuz steckte mehr.
Unter der angepassten, mausgrauen Oberfläche verbarg sich ein Mädchen, mit dem man sich vermutlich besser nicht anlegte.
In seinem Versteck auf dem Speicher der Kirche wartete der Anführer darauf, noch einen Blick auf
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