S - Spur Der Angst
Krallen. »Worauf willst du hinaus? Befürchtest du, jemand von der Schule könnte dir Schwierigkeiten machen?« Sie konnte es kaum glauben. »Hast du Angst, dass du nicht zum Klassentreffen eingeladen wirst?« Der Kater sprang von der Couch und eilte zu ihr, um sie zu begrüßen. Jules bückte sich und kraulte mit der freien Hand sein Kinn.
»Das ist es nicht!«
»Was dann, Eli? Warum regst du dich darüber auf, dass ich mich mit deiner Frau über Blue Rock unterhalten habe?«
»Darum geht’s doch gar nicht«, fiel er ihr ins Wort. »Ich denke nur, dass du Shay nicht richtig kennst. Das Mädchen hat’s faustdick hinter den Ohren, Jules. Sie braucht eine feste Struktur im Leben. Sie muss lernen, anderen Menschen Respekt entgegenzubringen.«
»Ich glaube schon, dass ich meine eigene Schwester kenne, und es gefällt mir gar nicht, wie du sie vorschiebst«, widersprach Jules. »Also, wovor hast du Angst?«
»Vor nichts. Wir … ich habe vor gar nichts Angst.«
Das kaufte sie ihm nicht ab. Eine Zeitlang sagte keiner von ihnen ein Wort. Jules richtete sich auf, und Diablo fing an, schnurrend Achten um ihre nassen Füße zu ziehen.
»Hör mal, Jules, ich bin einfach nur besorgt. Tu, was immer du tun musst, okay. Aber sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
»Wovor, Eli?«
Er zögerte, dann senkte er die Stimme zu einem Flüstern. »Vor dem, was du herausfinden wirst, Jules. Es wird dir kaum gefallen.« Und damit legte er auf.
»Mistkerl«, fauchte sie, als sie die Aus-Taste drückte. Der Kater sah sie überrascht an. »Nein, nicht du.« Sie schlüpfte aus dem nassen Mantel und hängte ihn an einen Haken neben der Tür, so dass das Wasser auf die Fliesen beim Eingang tropfte.
»Dann wollen wir mal sehen, was wir dir zu futtern geben«, sagte sie und ging in die Küche.
Weshalb wurden alle so nervös, wenn es um die Blue Rock Academy ging? Trotz des Loblieds, das sie auf die Schule sangen, hatten Analise und Eli Angst. Doch wovor? Sie waren doch schon lange nicht mehr dort!
»Es wird immer seltsamer«, sagte sie zu dem Kater, während sie eine halbvolle Dose Katzenfutter aus dem Kühlschrank nahm und den Inhalt mit einer Gabel in seine Schüssel füllte. Diablo ignorierte es und folgte ihr ins Wohnzimmer, wo sie den Gasofen aufdrehte und sich aufs Sofa fallen ließ. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken, musste sich überlegen, was sie als Nächstes tun sollte.
Alle rieten ihr, sich nicht einzumischen und Shay sich selbst zu überlassen. Shay bekäme nur das, was sie verdient hätte, und die Besserungsanstalt täte ihr sicher gut. Doch Jules, die sich schon immer schützend vor ihre jüngere Halbschwester gestellt hatte, sah das anders. Leute, die ihr nicht so nahestanden, und dazu zählte selbst Edie, sahen nicht das Kind in Shay. Sicher, sie führte sich ziemlich auf, aber sie hatte Angst davor, auf diese Schule zu gehen. Welche Siebzehnjährige hätte das nicht?
Die anderen besaßen einfach nicht den Einblick in Shaylees Leben wie Jules. Sie erinnerte sich, wie Edie mit dem kleinen, großäugigen Bündel aus dem Krankenhaus gekommen war. Von der Minute an, in der Shay in Jules’ Leben trat, war sie fasziniert gewesen von dem glucksenden Baby, aus dem schon bald ein neugieriges Kleinkind wurde, das sie auf Schritt und Tritt verfolgte. Sie und Shay hatten gemeinsam die schwierigen Ehen, unschönen Trennungen und unbeholfenen Versöhnungen ihrer Eltern miterlebt.
Jules hatte ihrem Vater nahegestanden, und Rip hatte sie vergöttert. Anders als Max Stillman, der sich einen Dreck um Shay kümmerte. Jules hatte sich stets ein wenig schuldig gefühlt, weil ihr Dad sie behandelte wie eine Prinzessin, sich jedoch nicht die Mühe machte, auch Shaylee unter seine väterlichen Fittiche zu nehmen. Nicht dass Shay das zugelassen hätte …
Als Jules auf der Grundschule gewesen war, hatte Shaylee am Fenster darauf gewartet, dass der Schulbus ihre große Schwester zurückbrachte, und war ihr auf knuffigen Kleinkindbeinchen entgegengewackelt.
»Sissy!« Ihr Gesichtchen strahlte.
»Schscht!« Verlegen hatte Jules Shays kleine Hand in ihre genommen. »Sag Jules zu mir.«
Doch Shay hatte immer schon das letzte Wort behalten. »Sissy!«, hatte sie gerufen und war kichernd davongestürmt, damit Jules ihr hinterherjagen konnte.
Später, als auch Shay zur Schule ging, hatten sie zusammen den Bus genommen, wenngleich sie sich getrennte Plätze suchten, da Jules es uncool fand, sich eine Bank mit einem neun Jahre
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