S3, Spuk in der Bibliothek: Eine Annäherung an das Unheimliche (German Edition)
bei Ihren Forschungen.
I: Mal sehen...
[Ende der Aufnahme]
Nach dem Interview unterhalten wir uns noch ca. 10 Minuten. Frau Seiler erzählt von ihrer Arbeit in der Bibliothek, schildert ihre Aufgabenbereiche. Ich frage, ob sie vielleicht noch Kollegen kennt, die etwas Seltsames erlebt und Zeit für ein Interview haben. Gerne dürfe sie auch meine Telefonnummer weitergeben. Frau Seiler verspricht mir, mal herumzufragen. „Versprechen“ könne sie mir aber nichts.
21. Kälte, sonst nichts Besonderes
Mittwoch, 9. April 2008: Gestern und vorgestern war ich wieder auf S3. Montag Abend etwa drei Stunden, von sieben bis zehn, Dienstag Nachmittag etwa zwei Stunden, von 16 bis 18 Uhr. Ich saß an meinem Stammplatz, dort wo auch die drei Mädels saßen. Na ja, zumindest saßen sie in der Nähe. Es ist nun schon fast einen Monat her, dass ich mein erstes Interview führte, das mit Jessica. Von Frau Seiler habe ich nichts mehr gehört, hoffentlich fragt sie wirklich bei den Kollegen rum. Andererseits ist es mir ganz recht, dass kein neues Interview ansteht. Das letzte Gespräch, das mit Frau Seiler, ist noch nicht fertig abgetippt. Außerdem habe ich ein bisschen Sorge, meine Doktorarbeit zu vernachlässigen.
Der Montag Abend und der Dienstag Nachmittag auf S3 bieten keine Besonderheiten. Ich sitze zwischen Bücherstapeln und bastle an meiner Dissertation. Weder höre, sehe, rieche noch fühle ich etwas Ungewöhnliches. Es lässt auch niemand hinter mir irgendwelche Bücher auf den Boden fallen. Einige Male gehe ich aufs Klo, dorthin, wo Tobias das Klopfen hörte. Auch hier nichts Besonderes. Ich lausche dem Rauschen der Lüftung und schaue mir die Klo-Kritzeleien an. Nur das Übliche: Stümperhafte Darstellungen primärer und sekundärer Geschlechtsorgane, Pöbeleien und ein falsch herum gezeichnetes Hakenkreuz. Was die Graffitis angeht, so unterscheiden sich die Toiletten an den Universitäten erstaunlich wenig von irgendwelchen Bahnhofklos.
Nur eines fällt mir während meiner Stunden auf S3 auf: Es ist kälter als sonst. Ich lasse meine dicke Winterjacke an und wenn ich zu lange am Stück tippe, bekomme ich kalte Finger. Dann schlage ich ein Buch auf, drücke die Seiten glatt und stecke die Hände in die Hosentaschen. Vielleicht wird die Heizung automatisch runtergeregelt, sobald es April ist. Wahrscheinlich muss Strom oder Gas oder was auch immer, auf jeden Fall aber Geld gespart werden.
Mich stört die Kälte und so bleibe ich am Mittwoch zuhause. Gegen 17 Uhr habe ich einen Anruf: „Guten Tag, spreche ich mit dem Herrn Susami?“
Ich bejahe und eine „Frau Gabriele Pesch“ stellt sich vor. Sie habe vor ein paar Tagen mit ihrer ehemaligen Kollegin, der Frau Seiler, telefoniert, und diese habe von meinem Projekt und dem Interview erzählt. Möglicherweise könne sie etwas beitragen, so Frau Pesch. Sie habe früher eine leitende Position in der Bibliothek inne gehabt und zu ihrer Zeit, da habe es eine Reihe von Diebstählen gegeben, und zwar recht ungewöhnliche Diebstähle. Das sei damals so gewesen, dass über mehrere Monate hinweg...
Ich unterbreche die Geschichte und entschuldige mich für die Unterbrechung. Ich bitte Frau Pesch, mir am Telefon noch nicht zu viel zu verraten und frage, ob sie vielleicht Zeit für ein persönliches Gespräch habe. Dann könnte ich die Geschichte mit den Diebstählen gleich auf Band aufnehmen. Frau Pesch wirkt leicht verärgert ob meiner Unhöflichkeit, ihr Tonfall verändert sich. Aber Zeit hat sie trotzdem. Wir vereinbaren ein Treffen am Wochenende, ich soll zu ihr nach Hause kommen.
22. Bei Frau Pesch
Samstag, 12 April 2008: Pünktlich 15 Uhr bin ich bei der Adresse, dir mir genannt wurde. Frau Pesch bewohnt eine geräumige Altbauwohnung in einem Stadtteil, der für enorme Quadratmeterpreise bekannt ist. Die hohen Wände bedecken Gemälde, größtenteils Abstraktes aber auch ein paar bunte Kinderzeichnungen. Seit dem Tod ihres Mannes vor drei Jahren lebt Frau Pesch allein. Die beiden Söhne sind längst aus dem Haus.
Auf mich wirkt Frau Pesch ein wenig streng bzw. sehr „kontrolliert“. Das mag auch an ihrer äußeren Erscheinung liegen. Mich empfängt eine schlanke, schlicht aber stilvoll gekleidete Frau, die jünger wirkt als 63. Die Haare hat sie straff nach hinten gebunden, das Make-up verrät Gespür dafür, wann es genug ist. Und wenn Frau Pesch spricht, dann achtet sie auf gepflegten Ausdruck und klare Aussprache. Sie spricht
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