"Saarland:Krimiland": Fünf Autoren, Fünf Fälle (German Edition)
Berwanger blickte auf, erwartungsvoll. Diefenbach kratzte sich mit der freien Hand am Kopf und fuhr fort: „In der Rotenbergstraße ist nur Nora La Binnak gemeldet, aber kein Aron. Könnte es sein, dass Aron nur zu Besuch bei seiner Schwester ist?“ In Berwangers Kopf begannen die Gedanken zu kreisen und an Geschwindigkeit zu gewinnen. War ihm Aron nicht von Anfang an sehr weich vorgekommen, fast weiblich? War seine Kleidung nicht so gewählt, dass sich darin auch weibliche Formen mühelos verbergen ließen? Er hatte eine Antwort auf seine Verunsicherung gefunden. Es gab Aron gar nicht, es gab nur Nora. „Aron ist Nora“, sagte er nur und Diefenbach schaute ungläubig: „Wieso das jetzt?“ – „Mensch Leon! Wir können uns jetzt die Mühe machen und nachforschen, ob Aron vielleicht woanders gemeldet ist. Aber ich bin mir sicher. Nora hat mit uns gespielt. Ihr Name ist ein Anagramm, verstehst du, sie hat ihn nur umgedreht und ihren Bruder erfunden. Nora – Aron.“ – „Mist, gerade ich hätte da auch drauf kommen können“, sagte Leon Diefenbach. „Also auf in die Rotenbergstraße.“
Die Haustür hatte offen gestanden. An der Wohnungstür klingelten sie dreimal. Niemand öffnete. Dafür kam ein älterer Herr die Treppe hinunter, schaute kurz und meinte: „Sie wollen zu den beiden Negern? Die sind heute Morgen in aller Frühe weg.“ Berwanger war es völlig egal, dass Heinz Müller, nur um ihn konnte es sich handeln, die political correctness offenbar schnurz war. „Beide? Sie haben beide gesehen?“, fragte er. „Ja, er hat gestern Abend noch das Auto vollgeladen, und sie habe ich heute Morgen einsteigen sehen. Na, das ist auch gut so. Die beiden haben sich ja nur gezofft. Endlich kehrt hier wieder Ruhe ein. Das ist ein anständiges Haus, wissen Sie?“
„Welch’ Inszenierung“, dachte Berwanger und glaubte nicht daran, dass hier der Zufall am Werke war. Nora La Binnak hatte peinlich genau darauf g eachtet, gesehen und gehört zu werden, und zwar in der Rolle ihres fiktiven Bruders und dann als sie selbst. Und natürlich hatte sie auch etwas mit den beiden wirklich Vermissten zu tun. Was, das würden sie herausfinden, dachte Berwanger, als er die Fahndung nach Nora La Binnak herausgab. Nun brauchten sie noch die richterliche Genehmigung, die Wohnung öffnen zu lassen. Am Nachmittag war es soweit.
Als Berwanger und Diefenbach die Wohnung betraten, rochen sie es sofort. Die Wohnung war noch möbliert, aber alle Hinweise auf Afrika waren verschwunden, ebenso wie der Geruch nach Kräutern und Gewürzen. Er hatte einem Geruch Platz gemacht, den Berwanger und Diefenbach kannten, weil er die beiden Hauptkommissare die letzten zwei Wochen im Büro begleitet hatte. In einem Topf lagen Fleischstücke in Würfelform. Berwanger vermutete, dass dieses Fleisch auch Grundlage des leckeren kongolesischen Eintopfs war, den er gestern hier noch kredenzt bekommen hatte. Berwanger bekam ein mulmiges Gefühl. Aus dem Wohnzimmer hörte er die Stimme Diefenbachs: „Hier ist was für dich.“ Diefenbach hielt ein Kuvert in der Hand auf dem der Hinweis stand: „Für C. Berwanger“ fast fürchtete sich der Hauptkommissar, den Umschlag zu öffnen. Was er Diefenbach jetzt vorlas, sollte sein Leben für immer verändern.
„Verehrter Herr Berwanger. Verzeihen Sie mir, dass ich Sie ein wenig an der Nase herumführen musste. Sie werden vermutlich herausgefunden haben, dass Aron und Nora manchmal nur eine Person sind, manchmal aber auch nicht. Unser Therapeut behauptet da seltsame Dinge. Wir glauben aber, dass er sich irrt. Wir sind seit der Geburt zwei. Und auch wenn die Hebamme behauptet, einer sei gestorben, so stimmt das einfach nicht. Anyway: Auch die restlichen Zusammenhänge werden Sie herausfinden. Nur soviel: Murat und Magdalena sind sich zu nahe gekommen. Das hat weder mir noch Aron gefallen. Ich wollte Murat für mich und Aron Magdalena für sich allein haben. Und das haben wir ja jetzt auch. Sie können mich jetzt natürlich fragen, warum ich es so inszeniert habe, dass Sie auf meine Spur kommen. Jeder Jäger will auch mal Gejagter sein. Das macht es interessanter – für mich!
Ich könnte nun schreiben: Auf Wiedersehen. Aber das wäre weder für Sie noch für mich angenehm. Also: Leben Sie wohl. Nora La Binnak. PS: Anagramme sind meine zweite Leidenschaft“
Diefenbach formte stumm ein Wort auf seinen Lippen und Berwanger wurde bleich. Dann stürzte er sich zum Fenster, riss es auf und
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