Saat der Lüge
besiegelt.
Orientierungslos vom Alkohol stolpere ich und stütze mich an ihm ab, aber ein Riemen meiner Sandale verheddert sich, und die nächste Drehung misslingt. Der Gehweg kommt mit großer Geschwindigkeit näher, aber mit einer Grazie, die seine hoch aufgeschossenen 1,88 Meter betrunkenen Überschwangs Lügen strafen, liegt plötzlich Mikes Arm um meine Taille, stark und unerschütterlich. Irgendwie zieht er mich aus der Spirale, und wir richten uns auf, aber ich bin zu schwer, wir haben zu viel Schwung. Er verliert das Gleichgewicht, und wir stürzen, ineinander verkeilt, die Hände immer noch über unseren Köpfen verschränkt, auf die niedrige, in seidigem Rot glänzende Motorhaube eines neben uns stehenden Sportwagens, die unseren Sturz abfängt. Zwischen unseren Körpern ist kein Zentimeter mehr Platz, und mein Atem bleibt irgendwo unterhalb meiner Lunge stecken, viel tiefer.
Er ist schwer. Unsere Augen sind alles, was wir sehen können. Wir spüren die Blicke der anderen auf uns.
»Herrgott, Mike!«, rufe ich schließlich. »Willst du mich umbringen?«
Er sagt nichts. Wir bleiben nur einen Herzschlag lang liegen, dann zieht er mich singend und in einer einzigen flüssigen Bewegung zurück auf die Füße. Ohne stehen zu bleiben, wirbelt er davon. Es ist nichts Wichtiges passiert. Niemand hat etwas bemerkt.
Stevie, penibel, wie er ist, fährt mit der Hand über die Motorhaube und sucht sie nach Dellen ab. Cora schüttelt nachsichtig den Kopf und lächelt nur, als sei Mike ein kleines Kind.
»Er besteht nur aus Armen und Beinen«, sagt sie und hakt sich bei mir unter. »Wie ich diesen Kerl liebe!« Sie lacht, als er über die Bordsteinkante stolpert.
Wir schlurfen weiter und erklimmen die Treppe zur Studentenwerkdisco.
Nach einem Boxenstopp an der Bar tanzen wir und tanzen und tanzen. Später auf der Toilette schwirrt mir der Kopf von den Lichtern und dem Beat der Musik, und Cora beugt sich schweißnass und mit schlaff herunterhängendem Haar übers Waschbecken, als überlegte sie, ob ihr vielleicht schlecht sei.
»Er ist so ein toller Typ«, sagt sie immer wieder. »Ein richtig toller Typ.«
Sie trägt das Silberkettchen mit dem dicken kleinen Herzen, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hat. In zwei Tagen ist ihr dritter Jahrestag.
Ich weiß, dass er sie am nächsten Tag in ein geschmackvolles, romantisches Restaurant mit gedämpfter Beleuchtung ausführen wird, auch wenn sie noch keine Ahnung davon hat. Er hat das Geld gespart, das er normalerweise für Bier ausgibt, und einen Tisch reserviert, nicht ohne mich ängstlich zu fragen, ob ihr so etwas wohl gefallen würde. Er hoffte auf meine Zustimmung, und ich gab sie ihm. Schließlich hatte sie weiß Gott genügend Andeutungen gemacht und unablässig genau diesen kleinen Italiener mit den Kerzen unter den Glasglocken und den imitierten Fresken und den runden Knoblauchbrötchen am anderen Ende der Stadt angepriesen. Und wenn Mike eines ist, dann aufmerksam und zuvorkommend.
Und zwar nicht nur an Geburtstagen.
Sie bemühten sich, leise zu sein, aber manchmal hörte ich sie nachts durch die dünnen Wände mit der abblätternden Farbe, wenn sie dachten, ich schliefe schon. Oder nachmittags, wenn sie glaubten, ich würde fernsehen. Dann knarrte die Decke, die Matratze protestierte quietschend, und Cora keuchte »Ja, genau so, oh ja« und schluchzte dann fast auf der anderen Seite der Wand, bevor sie still wurde. Währenddessen lag ich da, neugierig und belustigt und manchmal einsam, und lauschte nicht etwa, sondern versuchte vergeblich, nicht zu lauschen. Und drehte den Fernseher lauter.
Der August und alles, was danach kam
W er hätte damals gedacht, dass Cora und ich uns erst zwei Jahre zuvor zum ersten Mal begegnet waren, dass es erst zwei Jahre her war, dass dieser vertraute kleine Freundeskreis zusammengefunden hatte, optimistisch und scheinbar unzertrennlich, als wäre es nie anders gewesen. Dabei schien jener erste Tag an der Uni von Cardiff eine Ewigkeit her zu sein, der Tag, als ich ins Wohnheim Senghenydd Court zog, das auf einem schmalen Streifen Land zwischen nördlicher und südlicher Bahntrasse eingezwängt ist. Ich war natürlich für Englische Literatur eingeschrieben, das Auffangbecken für Leute, die noch keine Ahnung haben, wer sie sind oder wer sie gerne sein würden, aber genau zu wissen glauben, dass sie alle Zeit der Welt haben, um darüber nachzudenken.
Der erste Tag war nicht leicht, auch wenn ich ihn voller Erwartung und
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