gestürzt war, und sie war immer noch am Leben. Heute ist mein Glückstag. Der Killer hatte keine Ahnung, dass sie unter dem Schreibtisch kauerte. Sie war an drei Seiten von antikem Mahagoni umgeben, der sie vor seinem Blick verbarg. Um sie zu entdecken, müsste der Mörder sich schon bücken und unter den Schreibtisch spähen.
Von ihrem günstigen Aussichtspunkt aus sah Edie ein Paar grau gekleidete Beine näher kommen, die in hellbraunen militärartigen Stiefeln steckten. An der Seite dieser Beine hing eine große Männerhand, die eine Pistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer
umklammerte. Als würde sie durch das Objektiv einer Kamera schauen, konzentrierte sie den Blick auf diese fleischige Faust und bemerkte dabei die haarigen Fingerknöchel und den ungewöhnlichen Silberring, der aus miteinander verbundenen Kreuzen bestand. Bei dem Gedanken, dass sie und der Killer tatsächlich zu demselben Gott beteten, musste sie sich fest auf die Lippe beißen, um nicht hysterisch aufzulachen.
Und genau in diesem Moment tat der Mörder etwas völlig Unerwartetes.
Er stieg über Dr. Padghams Leiche, legte die Pistole auf den Schreibtisch und begann, auf der Computertastatur zu tippen. Wenige Sekunden später hörte Edie ihn leise fluchen, während er eine Schublade aufriss.
Er suchte etwas.
Edie hatte kaum Zeit, diesen Gedanken zu vertiefen, denn nun griff der Mörder unter den Schreibtisch und nahm die Speicherkarte aus dem Rechner.
Mit angehaltenem Atem schickte sie ein Stoßgebet an Gott, an Jesus, an jeden, der es hören wollte, dass der Killer sie nicht bemerkte. Schließlich war es ziemlich unwahrscheinlich, dass ein Mann, der sich an seine Opfer heranschlich und sie erbarmungslos tötete, durch Flehen zu erweichen sein würde.
Sie konnte den Mörder zwar nur von der Taille abwärts sehen, doch ihr entging nicht, dass er ein Handy aus einer Halterung am Gürtel zog. Sie lauschte und vernahm sieben digitale Wähltöne. Eine örtliche Telefonnummer. Er rief jemanden im Stadtbereich von Washington, D.C., an.
»Verbinden Sie mich mit dem Colonel.« Einige Sekunden verstrichen in Schweigen, bevor er wieder zu sprechen begann. »Sir, ich habe den Brustschild. Ich habe allerdings auch ein Problem.«
Der Brustschild , erkannte sie verspätet. Dr. Padgham war wegen des juwelenbesetzten Brustschildes ermordet worden.
»Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, die kleine englische
Schwuchtel hat Digitalfotos des Artefakts an jemanden außerhalb des Museums geschickt. Ich habe auf dem Schreibtisch ein Stativ gefunden, eine Memory Card mit Fotos des Brustschilds und eine E-Mail-Adresse.« Edie hörte, wie ein Blatt Papier von einem Block abgerissen wurde. »
[email protected].« Eine kurze Pause. Sorgfältig buchstabierte der Killer die E-Mail-Adresse. Eine weitere Pause folgte. »Nein. Die Kamera konnte ich nicht finden … Jawohl, Sir, ich habe mich um die Wächter gekümmert … Keine Sorge, Sir, ich werde meine Spuren verwischen.«
Edie hörte einen weiteren Piepton, als die Verbindung getrennt wurde. Dann vernahm sie das metallische Zzzzipp eines Reißverschlusses. Der Mörder steckte die Bronzekassette mit dem Brustschild in eine Art Tragetasche.
Und dann war er fort; er hatte das Büro genauso leise verlassen, wie er es betreten hatte.
Langsam zählte Edie bis zwanzig, bevor sie unter dem Schreibtisch hervorkroch. Dabei musste sie notgedrungen über Dr. Padghams Leiche klettern, einen Blick auf seine blutige, verstümmelte Augenhöhle werfen … und sich prompt übergeben. Mitten auf den Perserteppich. Nicht, dass das etwas ausmachte – der Teppich war bereits mit Blut und Gehirnmasse besudelt.
Immer noch auf allen vieren wischte sie sich den Mund am Ärmel ihres Pullovers ab. Sie hatte Jonathan Padgham nie gemocht. Doch jemand anderes hatte ihn anscheinend noch viel weniger gemocht. So wenig, dass er ihn kalten Blutes getötet hatte. Korrektur. Warmen Blutes. Warmen, nassen, nach Kupfer riechenden Blutes.
Edie sprang auf die Füße und griff nach dem Telefon. Nichts als Totenstille. Der Killer hatte die Telefonleitung gekappt. Zu ihrer Verzweiflung fiel ihr ein, dass ihr BlackBerry immer noch ans Ladegerät angeschlossen zu Hause in ihrer Küche lag. So viel zu dem Wunsch, die Cops zu ihrer Rettung zu rufen. Da der Mörder sich um die zwei Wächter im Erdgeschoß »gekümmert« hatte, wusste Edie, dass sie auf sich allein gestellt war.
Sie musste so schnell wie möglich aus dem Museum herauskommen,