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Sabihas Lied

Sabihas Lied

Titel: Sabihas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Miller
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womöglich doch etwas abgewinnen konnte.« Er sah mich an. »Frei von weltlichen Vorurteilen«, sagte er. »Wenn du verstehst, was ich meine.«
    Ich konnte mir durchaus etwas darunter vorstellen, und das sagte ich ihm auch.
    Â»Hourias Tod war nicht die einzige Veränderung. Auch Vaugirard veränderte sich. Sogar die Gerüche. Und alles schien auf einen Schlag zu passieren. Die Schlachthöfe wurden geschlossen, dann errichteten sie auf dem Gelände einen Park. Ein oder zwei Jahre später wurde der Büchermarkt eröffnet, gelegentlich entdeckten uns ein paar Touristen. Nach Hourias Tod geriet alles ins Wanken. Plötzlich war sie weg, und wir mussten die volle Verantwortung übernehmen, endgültig . Also machten wir weiter. Vielleicht war das falsch. Vielleicht hätten wir lieber das Handtuch werfen und gleich nach Australien ziehen sollen. Stattdessen widmeten wir uns dem Café. Es war unsere einzige Einnahmequelle. Und was das Versprechen angeht, ja, ich habe es gehalten. Sabiha wurde und wurde nicht schwanger, und wir verharrten im Stillstand, während ein Jahr nach dem anderen ins Land zog. Es war vermutlich meine Schuld. Wir hörten auf, darüber zu sprechen. Wir hörten mit den Arztbesuchen und Untersuchungen auf. Wir ließen das Thema komplett fallen. Ich glaubte, ich würde den Rest meines Lebens im Chez Dom verbringen. Wahrscheinlich war ich deswegen ein bisschen deprimiert und trank mehr als früher. Außerdem las ich zu viel. Ich versteckte mich hinter den Büchern. Das mache ich bis heute.« Er lachte. »Einmal, als ich mich nachts etwas angetrunken zu Sabiha legte, sagte sie mir, dass sie den Gestank abstoßend fände. Das traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Wir standen beide unter großem Druck. Ich verspürte selbst Ekel vor mir, weil ich trank, aber ich war ihr böse, weil sie es ausgesprochen hatte. Sie hatte mich verletzt.« Er sah mich an, um sich zu vergewissern, dass ich ihm auch wirklich zuhörte. Eine Zeit lang sprach er nicht weiter, sondern lächelte mich mit den Augen zerknirscht an. »Ich habe Sabiha damals nicht verstanden. Mir fehlte der Durchblick. Aber so war ich damals«, erklärte er. »Heute nicht mehr.«
    Â»Nein. Natürlich nicht«, entgegnete ich.
    Â»Am Tag darauf sagte ich ihr etwas wirklich Blödes und Gemeines. Und diese eine unglückliche Bemerkung sollte offenbar unser ganzes Leben bestimmen.« Er sah mich fra gend an. »Kennst du das? Ist dir so was Ähnliches auch schon mal passiert?«
    Â»Was hast du zu ihr gesagt?«
    Meine Frage schien ihn zu beunruhigen, er blieb eine Weile stumm. Dann holte er tief Luft. »Wir waren wohl beide in eine Krise geraten, ohne es zu merken. Ich hatte das Gefühl, dass ich meine Heimat nie wiedersehen würde. Ich nahm es ihr übel, dass sie ihrem Vater unbedingt dieses Kind präsentieren wollte, bevor wir etwas anderes wagen konnten. Ich sagte das aber nicht, um es ihr heimzuzahlen. Ich wollte ihr nicht wehtun. Bei uns hatte sich so vieles unter der Oberfläche angestaut. Wir redeten nicht mehr über das, was uns wirklich bewegte. Alles lief unterschwellig, blieb unausgesprochen. Damals haben wir das natürlich nicht erkannt. Uns kam das ganz alltäglich vor. Aber wenn ich jetzt zurückblicke, sehe ich genau, was mit uns geschehen ist. Wir liebten uns immer noch. Wir haben nie aufgehört, uns zu lieben. Wir gingen immer noch sanft und zärtlich miteinander um. Wir wollten uns immer noch gegenseitig glücklich machen.«
    Plötzlich hielt er inne und starrte auf seine gespreizten Hände, die mit der Fläche nach unten am Tisch auflagen. Schöne Hände. Kräftig und wohlgeformt und makellos. Die Hände eines jüngeren Mannes. Er betrachtete sie eine Weile, als wäre er stolz auf sie. Ich hakte nicht nach, weil er unter Umständen nicht weitererzählen wollte. Schließlich ist eine Beichte, selbst wenn man sie vor einem halbwegs Fremden – wie ich es in diesem Fall für John war – ablegt, nicht immer die leichteste Art, sich von seiner Schuld loszusprechen.
    Â»Ich bin einfach ins Fettnäpfchen getreten, ohne es zu wollen, das passiert jedem mal«, sagte er. »Manchmal tritt man einen winzigen Kieselstein los, und dann stürzt der ganze Berg über einem zusammen.«

Drei

E s war an einem Dienstag: Kurz nachdem die letzten Mittagsgäste das Café verlassen

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