SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
Schatzkanzler Nigel Lawson war zurückgetreten, weil die Premierministerin die Wechselkurspolitik ihres persönlichen Wirtschaftsberaters der des Ressortchefs vorzog. Und Außenminister Geoffrey Howe erklärte seinen Rücktritt, nachdem ihm die Chefin in den Rücken gefallen war.
Im Unterhaus sagte Howe damals einen beklemmenden Satz, der die politische Laufbahn der Eisernen Lady beendete: »Nun ist es an der Zeit für andere, ihre eigene Antwort auf den tragischen Loyalitätskonflikt zu finden, mit dem ich selber vielleicht zu lange gerungen habe.« Die Partei schickte der Premierministerin daraufhin die berüchtigten »men in grey suits«, die ihr den Rücktritt nahelegten. Thatcher verstand und ging.
Der Streit galt Europa und der Währungspolitik. Dasselbe Thema hat Merkel über lange Zeit zu schaffen gemacht. Aber die CDU war währenddessen in schlechterem Zustand, als es seinerzeit die Tories waren: Wer hätte der deutschen Kanzlerin die Männer in grauen Anzügen schicken sollen, nachdem alle Gegner ausgeschaltet waren oder sich selbst ausgeschaltet hatten? Welcher von Merkels Ministern würde sich opfern, wie Howe und Lawson es getan haben?
Merkel und Thatcher, die Ähnlichkeiten waren von Anfang an ebenso augenfällig wie der alles entscheidende Unterschied: Beide sind Naturwissenschaftlerinnen, Physikerin die eine, Chemikerin die andere. Beide fanden ihre Parteien in erbärmlichem Zustand vor. Thatcher nach der berüchtigten Kehrtwende ihres Vorgängers Edward Heath, der die britischen Konservativen auf sozialdemokratische Abwege geführt hatte. Merkel nach Kohls Ehrenwort-Affäre. Beide traten ihren Job als Trümmerfrauen und Reinigungskräfte an – weil die Männer zu feige für den Job waren. Beide versprachen Erneuerung. Aber Thatcher wollte die Revolution. Merkel wollte das Amt.
Thatcher hielt bis zum Ende an ihrem beinahe religiösen Glauben fest, einer eigentümlichen Mischung aus radikalem Liberalismus und festem Vertrauen in den starken Staat. Auch Merkel hat sich als Radikale gezeigt – aber ihre Radikalität lag in ihrem grenzenlosen Pragmatismus. Sie war zu buchstäblich jeder noch so atemberaubenden Wende bereit und blieb dabei ihrem Kurs dennoch treu. Denn ihr Kompass wies immer dorthin, wo das nächste Ziel lag. Wie bei dem Piraten Jack Sparrow. Abgesehen davon, dass Merkel ihre Ziele nie erst wählen musste – weil sie außer dem Amtserhalt keines hatte. Merkel hatte die Maxime begriffen, die Brecht über Ibsens Theater aufgestellt hat: »Es ist nicht mehr der Mensch, der handelt, sondern das Milieu. Der Mensch reagiert nur.«
Sie wollte eigentlich weder Wehrpflicht noch Atomkraft abschaffen. Sie wollte weder eine europäische Wirtschaftsregierung noch eine Transferunion. Dennoch war all das Ergebnis ihrer Politik. Und Joachim Gauck wollte sie sowieso nicht – und auch den hat sie bekommen.
Das Problem dabei ist aber, dass Merkels Politik, gerade weil sie keinem Prinzip und keinem Plan folgt, voller handwerklicher Fehler und Schwächen war. Merkel opferte die Strategie zugunsten der Taktik. Und gleichzeitig wurden dabei ihre Spielräume immer kleiner. Sie betrieb eine Form der Politiksimulation, die nur einem Ziel diente: dem Amtserhalt. Auf Dauer half Merkels Impromptupolitik aber weder der Energiewende noch der europäischen Integration.
Die Hamburger Pastorentochter bleibt nach all den Jahren ein Rätsel. Eine Unbekannte.
Ihr Stab hat im November 2009 eine Videobotschaft der Kanzlerin ins Netz gestellt, vor einem Gipfel der Industriestaaten in Pittsburgh, die war in Form und Inhalt wirklich niederschmetternd. Die Bundeskanzlerin sprach da zu ihrer Nation mit Gestus, Stimme und Wortwahl einer Diensthabenden in einem Heim für Betreutes Wohnen. Es fällt schwer, sich etwas weniger Inspirierendes als diese Frau vorzustellen, und es ist fast unmöglich, sich zu merken, was sie gesagt hat. Als Angela Merkel eben Kanzlerin geworden war, wollte Edmund Stoiber ihr die Richtlinienkompetenz beschneiden: »Natürlich trägt die Kanzlerin eine besondere Verantwortung, aber man muss das als gemeinsame Aufgabe sehen«, sagte der damalige CSU-Chef im Oktober 2005. Merkels Biograph Dirk Kurbjuweit schrieb im Jahr 2009: »Das war damals eine Unverschämtheit, aber gegen Ende der Legislaturperiode wirkte das fast seherisch. Merkel hat die Richtlinienkompetenz für das Überleben im Amt preisgegeben.« 12 Dabei ist sie geblieben.
Vom Philosophen Baruch de Spinoza stammt der Gedanke, dass
Weitere Kostenlose Bücher