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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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jede Bestimmung eine Verneinung ist. Jede Eigenschaft bedeutet die Abwesenheit einer anderen Eigenschaft. Bei Spinoza ging es um Gott. Bei Merkel nur um Politik. Aber nach diesem Prinzip regiert die Kanzlerin seit ihrem ersten Tag im Amt: Wer sich zu etwas bekennt, schließt automatisch etwas anderes aus. Besser, man bekennt sich nicht. Oder, wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann bekenne man sich möglichst spät. Darum weiß eigentlich niemand, wofür diese Kanzlerin eigentlich steht. Was sie will. Außer, an der Macht zu bleiben. Es gab bislang keinen einzigen einigermaßen wichtigen deutschen Politiker, dem der Erhalt der Macht wirklich der einzige Seinszweck war.
    Strauß, Kohl, Brandt, Schmidt, Schröder, Fischer: Sie hatten ja alle Projekte, Visionen, Feinde, Hoffnungen. Sie erstrebten irgendetwas, oder sie bekämpften irgendetwas. Angela Merkel – ist. Mehr nicht. Gäbe es sie nicht, würde man sie nicht für möglich halten. Die reine Substanz der Macht. Sie ist eine beinahe surreale Erscheinung. Ihr eigenes Gespenst. Ohne Attribute, ohne Prädikate. Das ens realissimum der deutschen Politik. Sie bekämpft niemanden, weil man sich damit nur noch mehr Feinde schafft. Sie will nichts, weil jedes Wollen auch Verzicht bedeutet. Sie hat keine Visionen, weil Visionen verlangen, den Blick zu verengen.
    Merkel hat in Europa viele Fehler gemacht: Es war ihre Schuld, dass die Krise immer teurer wurde. Ihr Starrsinn hat die Kosten der Griechenpleite explodieren lassen. Das ist keine Propaganda politischer Wirrköpfe. EU-Chef José Manuel Barroso, die IMF-Chefin Christine Lagarde, der Italiener Mario Monti, der Belgier Elio Di Rupo, der Luxemburger Claude Juncker – sie alle haben schon mehr oder weniger unverhohlen Merkels nationalen Egoismus kritisiert. Denn das ist es, was diese Kanzlerin getan hat: Sie opferte die gesamte deutsche Europapolitik der Nachkriegszeit für ihren kurzfristigen innenpolitischen Vorteil.
    Merkel hat die deutsche Frage des neunzehnten Jahrhunderts wieder geöffnet und die europäischen Nachbarn daran erinnert, dass ein in sich gekehrtes Deutschland immer wieder zur Gefahr für die europäische Stabilität werden kann.
    Auf dem bedenkenlosen Boulevard der »Bild«-Zeitung wurde sie dafür bejubelt: »Starke Kanzlerin, starkes Deutschland« – weil man dort nicht wissen will, dass die politischen Schulden, die Merkel uns jetzt im Ausland aufhalst, um so vieles schwerer wiegen als jedes Finanzdefizit. Merkels Büchsenspanner bei der »Bild« konnten sich am scheinbaren wirtschaftlichen Erfolg der schwarz-gelben Regierung berauschen: Arbeitslosenquote, Wirtschaftswachstum und Staatsdefizit – überall liegen die Deutschen in Europa vorn. Aber diese Zahlen sagen wenig darüber aus, ob die Kanzlerin Deutschland zu einem lebenswerteren Land gemacht hat.
    Das Ausland sieht in Deutschland schon das »Quarto Reich« heraufziehen. Aber wenn die Demoskopen losgehen und die Deutschen fragen, stellt sich heraus: Das Land ist mit sich und seiner Regierung im Reinen. Und die Kanzlerin findet sich sowieso toll. »Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste seit der Wiedervereinigung«, sagte sie im Herbst 2012 im Bundestag. Und man wusste zuerst gar nicht, ob das satirisch gemeint war. Aber es war natürlich ihr bitterer Ernst. Gemessen an ihren eigenen Werten, ist Merkel tatsächlich eine erfolgreiche Kanzlerin. Es geht ihr um nichts als um die Macht, und sie hat kaum mehr getan, als ihre Macht zu erhalten. Merkel hätte handeln müssen, als die Krise jung war, die Begriffe noch weich und die Bilder in den Köpfen der Menschen noch in Bewegung. Als alle Welt auf die Banken starrte, hätte Europa das Problem der Staaten lösen müssen. Und Deutschland, als größtes und stärkstes Land, das am meisten von Europa profitiert, hätte vorangehen müssen.
    Führung und Gestaltung – das war die Aufgabe der Politik, die Aufgabe von Angela Merkel. Darum hat sie sich nicht gekümmert. Stattdessen hat sie zugelassen und befördert, dass die Finanzkrise zu einem Konflikt zwischen den Staaten wurde. Das Schlimmste, was Europa geschehen konnte. Plötzlich ging es in Europa darum, wer gewinnt. Und es geht darum, wer sein Gesicht verliert. Fraktionschef Volker Kauder hat sogar einmal gerufen: »Auf einmal wird in Europa Deutsch gesprochen.« Und der CSU-Politiker Markus Söder, der einmal bayerischer Ministerpräsident werden will, sagte, an Griechenland müsse »ein Exempel statuiert werden«. Wer wollte den

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