SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
Politik. Aber woher resultiert die Einheit? Bei Bertolt Brecht war die Sache noch ziemlich einfach. Er konnte seinem SA-Mann noch dieses Licht aufsetzen: »Jetzt weiß ich: drüben steht mein Bruder. / Der Hunger ist’s, der uns eint.« Aber Hunger hat heute in Gelsenkirchen und in Chemnitz niemand mehr. Da braucht man schon einen anderen Kitt.
Und es gibt nur einen: die Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Denn was ist der Sinn linker Politik? Gerechtigkeit. Karl Liebknecht hatte recht, als er sich gegen die Kriegskredite wandte und gegen eine SPD, die ihre historische Aufgabe vergessen hatte. Und es hatte auch Oskar Lafontaine recht, als er aus der Hitze der Empörung über Schröders Agendapolitik eine gesamtdeutsche Linke schmiedete, weil die SPD erneut von ihrem Weg abgekommen war. Die SPD hatte sich diese Abspaltungen selber zuzuschreiben. Aber es ist das Elend der Spalter, selbst in einen Kreislauf des Zerfalls zu geraten. Immer droht die Spaltung der Abspaltung, als gäbe es ein Gesetz des linken Zerfalls in immer kleinteiligere radikale Elemente, deren Halbwertszeit kürzer und kürzer wird und die sich am Ende im politischen Raum verstrahlen. Bis nur noch ein Hintergrundrauschen zurückbleibt, eine Erinnerung an eine politische Kraft, die sich verbraucht hat.
Also, was ist der Sinn linker Politik? Gerechtigkeit. Aber es geht nicht darum, den Theorien gerecht zu werden, sondern den Menschen. Und die radikalen Linken neigen dazu, die Theorien mit den Menschen zu verwechseln. Rosa Luxemburg irrte vor 100 Jahren, als sie im berühmten Revisionismusstreit gegen die Idee von der Reformierbarkeit des Kapitalismus antrat. Und Sahra Wagenknecht hat geirrt, als sie den »Reformismus« als größte Gefahr der Linken beschrieb und das linke Heil in der schroffen Abgrenzung zur SPD sah.
Wann einer Sozialist ist, wann Sozialdemokrat, Liberaler oder Neoliberaler, das kann man als Frage der Weltanschauung und Werte beschreiben – oder als Frage des Mischungsverhältnisses von Öffentlichem und Privatem. Inwieweit politische oder monetäre Werte das Maß geben, Effizienz und Profit oder Hoffnungen und Visionen.
Die Überwindung dessen, was die Linken gerne die »herrschenden Verhältnisse« nennen, kann in Deutschland nur in ihrer Verbesserung liegen. Wer bei den Linken glaubt, das werde ohne die SPD gehen, betreibt Politik als Hobby. Die Wahlergebnisse sprechen für sich. Die Realos im Osten wissen das. Die Fundamentalisten im Westen leugnen das. Obwohl ihr Scheitern unabweisbar ist. Denn die Ausdehnung der Linkspartei nach Westen ist ja in Wahrheit gescheitert.
Weil die SPD ist, wie die SPD ist, braucht Deutschland die Linkspartei. Sie muss der Stachel im Fleisch solcher SPD-Politiker sein, die sich wieder und wieder so benehmen, als wären sie eigentlich lieber CDU-Politiker. Lafontaine und Wagenknecht waren dafür die Falschen. Lafontaine hat der Linkspartei zwei große Dienste erwiesen: Im Jahr 2005 hat er sie mitgegründet, und im Jahr 2010 hat er sie losgelassen. Es hätte keinen Besseren gegeben, das Projekt einer neuen linken Kraft in ganz Deutschland aufzunehmen als ihn. Und keinen Schlechteren, es zu vollenden. Lafontaine wollte die deutsche Linke zu einem Organ seiner politischen Persönlichkeit machen und zu einem Instrument seiner Rache an der SPD. Dafür sind Parteien nicht da. Und die Linkspartei vor allem darf dafür nicht da sein. Wagenknecht hat sich als die schärfste Analytikerin der irrwitzigen Perversionen des Finanzsystems erwiesen. Aber mit ähnlicher Inbrunst wie die Banken hat sie die ostdeutschen Reformer ihrer Partei verfolgt. Wagenknecht und Lafontaine haben vergangene Schlachten ausgefochten. Das war ihr persönliches Reenactment .
Die Linkspartei hat immer noch nicht gelernt, dass sich mit dem stetig wandelnden Kapitalismus auch die Kritik an ihm stetig wandeln muss. Die wirkungsvollste Kapitalismuskritik kommt heute nicht aus der Heimat von Marx und Engels, sondern läuft unter Stichworten wie »occupy« und »commons«. Die Agitation der Massen findet längst statt. Allein, es fehlt die Übersetzung in die Politik. Das wäre die Aufgabe für die Linkspartei.
Auch wenn die Linkspartei es nicht gerne hört: Ihre Funktion in der deutschen Politik ist die des linken Korrektivs der SPD. Und die SPD braucht ein solches Korrektiv dringend. Die Sozialdemokraten haben es aus eigener Kraft nicht geschafft, sich aus ihrem Afghanistan-Irrtum zu lösen. Als Peter Struck starb, der frühere
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