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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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Tür klopft‹.« Die »Bild«-Zeitung bekam später sogar einen Preis dafür, dass sie so »verantwortungsvoll« berichtet habe. Einen Preis, der von Journalisten verliehen wurde.
    Nun mag man sich fragen: Was hätten die Medien in Deutschland tun sollen, als den Banken der Zusammenbruch drohte? Aber genauso gut könnte man sich fragen: Was sie in Amerika hätten tun sollen, nachdem die Twin Towers zusammengebrochen waren? Oder als George Bush den Krieg gegen den Irak vom Zaun brach. Und man kann sich auch fragen, was sollen sie tun, wenn eine Epidemie droht? Wenn ein Krieg beginnt? Wenn eine Entführung im Gange ist? Wenn der Kanzler schwarze Kassen führt? Wie lautet die richtige Antwort? Es kann nur eine Antwort geben: Journalisten sollten ihre Arbeit tun. Und die besteht darin, zu berichten, was geschieht. So gut das eben möglich ist.
    Viele Journalisten sehen das heute anders.  Als die erste Regierung Merkel ihren Dienst antrat, sagte der »Stern«-Journalist Hans-Ulrich Jörges auf einer Podiumsveranstaltung: »Wir sollten sie wie rohe Eier behandeln. Diese Truppe ist das vorletzte Aufgebot der deutschen Politik, und ich will nicht, dass es kaputtgeschrieben wird, weil dann das letzte Aufgebot regiert.«
    Das ist ein gefährlicher Gedanke. Hier hat ein Journalist dazu aufgerufen, den Journalismus unter den Vorbehalt eines Bedrohungsszenarios zu stellen. Wenn alles den Bach hinunterzugehen droht, dann solle doch der Journalist nicht noch mehr Ärger machen. Aber wer so redet, der hat vergessen, was die Aufgabe von Journalisten ist. Sie sind keine Moderatoren der Macht. Sondern Kontrolleure. Dieses »Sondiren bis zum innersten und tiefsten Grunde« ist kein Spaß. Es gibt Grund, sich um die Unabhängigkeit der Presse zu sorgen. Aber es geht dabei vor allem um die Abhängigkeit der Journalisten, und zwar um die selbstgewählte. Es gibt Länder, in denen die Pressefreiheit durch die Willkür von sogenannten Sicherheitsbehörden oder von Polizei oder den Gerichten bedroht ist. Es gibt Länder, in denen die Gesetze gar keine Pressefreiheit kennen. Das alles ist in Deutschland nicht der Fall. Wenn wir hier ein Problem haben, dann keines der Rechtslage, sondern eines der journalistischen Gesinnung.
    Das wurde besonders deutlich, als die Internetplattform Wikileaks Akten des amerikanischen Außenministeriums veröffentlichte – 251.287 Dokumente. Da gab es nicht wenige deutsche Journalisten, denen beim Blick von diesem annähernd 30 Meter hohen Papierstapel hinab in den Abgrund der Macht ganz schwindelig wurde. Die »Süddeutsche Zeitung« schrieb, es wäre »am Ende das beste gewesen, die Datenflut wäre nie aus den Computern gequollen«. Und »Bild« war der Meinung, Verantwortung sei den »Online-Anarchos« ein Fremdwort: »Sie handeln schlicht kriminell.« Und der Herausgeber der »Zeit«, Josef Joffe, sprach schlicht von »Hochverrat«. Da war er wieder, Adenauers »Abgrund von Landesverrat«, ein halbes Jahrhundert später, diesmal aus dem Mund eines Journalisten. Joffe wünschte sich mit Blick auf Wikileaks-Chef Julian Assange keinen »Ein-Mann-Rächer«, der nach eigenem Geschmack entscheidet, was zu veröffentlichen sei: »Dafür haben wir Parlamente und Gerichte, also den Rechtsstaat.«
    Das war ein bemerkenswerter Augenblick in der deutschen Mediengeschichte. Normalerweise rechtfertigen staatliche Stellen die Knebelung der Presse. Es war ernüchternd, so etwas von Journalisten zu hören. Das embedding , das als geniale PR-Strategie der amerikanischen Armee im Irakkrieg begann, war hier tief verinnerlicht. Ein Journalist, der die Wikileaks-Veröffentlichungen zuerst unter dem Gesichtspunkt der nationalen oder, schlimmer noch, westlichen Sicherheit sah, hatte sich selbst weitgehend eingebettet und dabei die Pressefreiheit gleich mit zu Bett gebracht.
    Man musste die Kollegen geradezu daran erinnern, dass die Folter in Abu Ghraib, das Waterboarding in den geheimen CIA-Gefängnissen, das Niedermähen unbewaffneter Zivilisten in Afghanistan – all das, was die USA in den vergangenen Jahren in gefährliche Nähe zu den Unrechtsregimen im Nahen Osten, zu China und zur untergegangenen Sowjetunion gebracht hatte – eben nicht durch »Parlamente und Gerichte« an den Tag gekommen war, sondern durch die Zusammenarbeit neuer und klassischer Medien. Eigentlich hätte es für den kritischen und investigativen Journalisten nur eine angemessene Reaktion auf diese größte Indiskretion der Geschichte geben können: Den

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