SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
die SPD mit solchen Bekenntnissen.
Die Franzosen haben Hollande freilich nicht aus träumerischer Begeisterung gewählt. Nils Minkmar hat seinerzeit in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« sehr schön geschrieben, Sarkozy sei den Franzosen am Ende einfach wahnsinnig auf die Nerven gegangen. Sie hätten gleichsam das Gefühl, »mit ihm in einem Aufzug eingesperrt zu sein«. Aber dennoch sprach Frankreich bei diesen Wahlen für ganz Europa: Das französische Votum war auch eines gegen den deutschen Sparzwang. Der Kontinent hatte diese Ideologie satt, die ökonomisch unsinnig ist und sozial eine Katastrophe. Frankreich ist das einzige Land, das in Europa genug Gewicht in die Waagschale werfen kann, um die deutsche Dominanz zu brechen. »Kann man sich einen einzigen Augenblick lang vorstellen, dass Deutschland Europa allein führen und Frankreich isolieren will?«, fragte Hollande und antwortete selbst: »Nein!«
Die Deutschen haben an der Lehre vom unpolitischen Geld festgehalten und Europa in die Kältezone ihrer Ideologie gezogen. Aber Geld ist politisch. Das hat man in Frankreich immer besser verstanden als in Deutschland. »Europa wird durch das Geld entstehen, oder gar nicht«, hat Jacques Rueff gelehrt, der Währungsexperte von Charles de Gaulles. Die unabhängige Zentralbank, die ohne Rücksicht auf politische Zusammenhänge agiert, haben die Franzosen immer für einen deutschen Irrtum gehalten.
Dass die Krise nachließ, lag nicht an Angela Merkels Austeritätspolitik. Vielmehr hatte Mario Draghi die »Dicke Bertha« ausgepackt. So hat der Chef der Europäischen Zentralbank das 1-Billion-Euro-Programm selbst genannt, in dessen Rahmen er ab Anfang 2012 die europäischen Banken mit Krediten versorgte. Draghis Vorgänger Jean-Claude Trichet war schon vorausgegangen und hatte für 200 Milliarden Anleihen der Krisenstaaten gekauft. In dem Moment, als die EZB sich von der deutschen Lehre abwandte und den Geldhahn aufdrehte, flachte die Krise ab.
Die SPD war bei alldem nur Zuschauer. Und das lag nicht an der Oppositionsrolle. Die Sozialdemokraten haben Merkel in der Europolitik nicht als das entlarvt, was sie war: eine Gefahr für Europa und die gemeinsame Währung. Das ist das Rätsel der sozialdemokratischen Politik.
Vielleicht muss man sich das so vorstellen: Wenn ein deutscher Sozialdemokrat des Morgens aufsteht, sagt er sich vor dem Spiegel, dass Wahlen in der Mitte entschieden werden. Das hat ihm der selige Peter Glotz so beigebracht. Und daran hält er sich auch. Die Vergangenheit hält für die deutsche Sozialdemokratie zwar auch andere Erfahrungen bereit. Aber was ist die Erfahrung gegen eine Theorie von Peter Glotz? Wäre der deutsche Sozialdemokrat ein praktischer Mensch, wüsste er, dass die Mitte in Wahrheit gar kein Ort der Politik ist. Sie ist nur ein theoretischer Punkt. Jedes politische System, das in die Mitte drängt, deformiert sich dort zu Tode. Die Mitte ist das schwarze Loch der Politik, sie zieht alles an, aber nur, um es zu verschlingen. Seit Jahren macht die SPD diese Erfahrung. Sie lernt daraus aber nichts.
Das Saarland ist nicht eben ein Ort, an dem man die großen Zäsuren der Weltgeschichte erwarten würde. Aber für ein kleines Kapitel SPD-Parteigeschichte reichte es doch. Als im März 2012 im Saarland gewählt wurde, kam die SPD auf die Idee, bereits vor der Wahl eine Große Koalition anzukündigen. Das lief darauf hinaus, dass SPD und CDU gemeinsam ein Kartell der Antipolitik gründeten. Als wollten sie der Demokratie mit Absicht das letzte bisschen Leben austreiben. Obwohl sich die beiden großen Parteien zusammentaten, hatten sie nachher nur etwas mehr als 40 Prozent der Wahlberechtigten vertreten. Das war ein Ergebnis der erschreckend niedrigen Wahlbeteiligung. Was die Wahlforscher »asymmetrische Demobilisierung« nennen, wird zum Normalfall der Wahlkampfstrategie: Die Politik setzt absichtsvoll darauf, dass möglichst wenig Leute zur Wahl gehen – aber von der Gegenseite noch weniger. Die CDU fährt damit regelmäßig besser. Sie hat die Voraussetzung dieses besonderen Politikstils zur Vollkommenheit getrieben: politische Unkenntlichkeit.
Das ist das Kennzeichen der Ideologie der Mitte. Der Politiker der Mitte muss alles vertreten und steht darum für nichts. Für das System liegt in der Mitte keine Beruhigung, sondern eine Gefahr, keine Stabilität, sondern eine Bedrohung. Wer die Mitte preist, ist nicht ein Freund der Demokratie, sondern ihr Gegner.
»Was ist
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