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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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SPD-Verteidigungsminister, rief man sich seine Worte von der Verteidigung Deutschlands ins Gedächtnis, die auch am Hindukusch stattfinden müsse. Spätestens jetzt wäre noch mal Gelegenheit gewesen festzustellen: Struck war ein guter Sozialdemokrat, aber das mit dem Hindukusch war leider ein Irrtum. Am Hindukusch gewinnen wir keinen Blumentopf, und ihr Recht und ihre Freiheit müssen sich die Völker selbst erkämpfen, wenn sie es denn so wollen. Demokratie ist keine Exportware. Aber die SPD ließ die Gelegenheit verstreichen. Und vorher hatte Fraktionschef Steinmeier noch einmal bekräftigt, was den Militäreinsatz in Afghanistan angehe, da gelte auch für die SPD: »Gemeinsam rein, gemeinsam raus.«
    Obwohl die Franzosen gezeigt hatten, dass man einem offenkundigen Unsinn durchaus einfach den Rücken kehren kann. Überhaupt hätte die SPD von Frankreich lernen können. Als der Sozialist François Hollande als Herausforderer des konservativen Sarkozy am politischen Ereignishorizont auftauchte, bot sich der SPD die historische Chance für eine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik in Europa. Aber Gabriel, Steinmeier und Steinbrück verzichteten sicherheitshalber darauf, gemeinsam mit den Franzosen für die Einführung der berühmten Eurobonds zu kämpfen.
    Das wären ja, wenn es sie denn gäbe, Anleihen, die die Staaten der Eurozone am Kapitalmarkt aufnehmen. Also die Vergemeinschaftung der Schulden. Angela Merkel hat das ausgeschlossen. Ja, mehr noch: Sie hat es in einer für sie geradezu einzigartigen Deutlichkeit und Klarheit ausgeschlossen. Am 25. Juni 2012 sagte die Kanzlerin vor der FDP-Fraktion, eine »gesamtschuldnerische Haftung« werde es nicht geben, »solange ich lebe«. Wenn man das in die Sprache der Finanzmärkte übersetzt, hatte die Kanzlerin gesagt, es werde mit ihr keine Eurobonds geben. Niemals. Unter keinen Umständen. Nur über ihre Leiche.
    Das war sehr überraschend. Weil die Worte so deutlich waren. Und weil sie vor Abgeordneten der FDP fielen und nicht im eigenen Haus. Merkel hatte solche Deutlichkeit offenbar gar nicht geplant. Einige Abgeordnete riefen ihr zu: »Dann wünschen wir Ihnen ein langes Leben«, und da wirkte sie, als sei ihr eben erst aufgegangen, was sie da gerade gesagt hatte.
    Diese Bonds wären der logische nächste Schritt auf dem Weg der Integration. Der natürlich nur Sinn machen würde, wenn in gleichem Maße auch die Politik eine gemeinschaftliche würde. Das will Merkel nicht. Weil für sie die deutsche Linie nicht verhandelbar ist, die im Wesentlichen aus Exportorientierung und niedrigen Löhnen besteht. Die Europäische Union ächzt unter dem Joch dieser deutschen Politik. Es ist keine Politik der Gemeinschaft, sondern der Konkurrenz.
    Eine sozialdemokratische Partei hätte sich für einen anderen Weg entscheiden müssen. Stattdessen konnte man beobachten, wie sich die SPD zwischen ihrer Angst und ihrer Bestimmung wand. Wieder einmal. Die Partei ist ja berühmt für dieses traurige Schauspiel. Erst sagte Parteichef Gabriel, die Debatte um Eurobonds sei »skurril«. Dann schlug er vor, man könne ja die Bevölkerung über die Frage abstimmen lassen. Der SPD war aufgefallen, dass gemeinschaftliche Schulden bei den Deutschen äußerst unbeliebt sind. Kein Wunder. Aber was wäre die Aufgabe der Politik in dieser Situation? Aufstehen und kämpfen. Was war die Entscheidung der SPD? Wegducken und kapitulieren. Das ist nicht die Art, in der Politiker Verantwortung übernehmen sollten. Es ist die Art, wie sie sich aus der Verantwortung stehlen.
    Angela Merkel hatte vor den französischen Wahlen des Jahres 2012 den diplomatischen Comment verlassen und sich ausdrücklich auf die Seite Sarkozys gestellt. Da reagierte Sigmar Gabriel folgerichtig und sprach sich für François Hollande aus. Aber dennoch hat çdie SPD bislang nicht die Chance genutzt, die sich in Europa mit dem neuen französischen Präsidenten geboten hat. Hollande hat in einem Interview gesagt: »Ich bin kein gemäßigter Sozialist, auch nicht mäßig sozialistisch – ich bin einfach Sozialist.« Das ist ein Satz, der sich in Frankreich offenbar leichter sagt als in Deutschland. Hollande hat eine gerechtere Verteilungspolitik und eine Reichensteuer versprochen – und nach dem Wahlsieg Wort gehalten. Solche Radikalität ist den Deutschen fremd: Wenn sich in Deutschland jemand als Sozialist bezeichnet, legt der Verfassungsschutz erst mal einen neuen operativen Vorgang an – und entsprechend vorsichtig ist

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