Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
Vom Netzwerk:
links?«, fragte sich Sigmar Gabriel einmal selbst in einem Gespräch mit François Holland. Er beantwortete das mit allgemeinen Ausführungen zur Aufklärung. Was notgetan hätte, wäre die Erkenntnis gewesen, dass der politische Raum links und rechts von der Mitte liegt. Aber die SPD hat sich selbst als Geisel genommen und lehnt standhaft jede Verhandlung über ihre eigene Freilassung ab. Es ist, als stünde im Parteiprogramm die Präambel: »Lieber tot als rot.«
    Im wechselvollen demoskopischen Schicksal der SPD tauchte einmal unter den fleißigen Händen der Wahlforscher eine Singularität auf: 47 Prozent für Rot-Grün – aber mehr für die Grünen als für die Sozialdemokraten. Deutschland hätte damit einen grünen Kanzler gehabt. Es war kurios, dass genau zu diesem Zeitpunkt die sogenannte K-Frage in der SPD besonders heiß diskutiert wurde.
    Als Steinmeier und Gabriel damals über die Kanzlerkandidatur nachdachten, erinnerten sie an den Arbeitslosen, der morgens das Haus verlässt und abends zurückkehrt, als wäre alles wie sonst. Damit die Frau und die Nachbarn nichts merken und damit er selbst sich vormachen kann, alles sei wie früher. Aber es ist schon längst nichts mehr wie früher. Die SPD steckt in der Krise. Krise, der Begriff kommt aus der Medizin. Er bezeichnet den Wendepunkt der Krankheit, danach kommt Genesung oder Tod. Für die Sozialdemokraten geht es tatsächlich um alles. Die Grünen könnten ihre Rolle im Westen übernehmen, die Linkspartei im Osten. Wofür braucht Deutschland noch die SPD?
    Als die SPD die Wahl 2009 verloren hatte – mit 23 Prozent! –, hat Oskar Negt gesagt, die Fortsetzung der Großen Koalition wäre schlimmer gewesen als der Gang in die Opposition. Die »Profilnot« der SPD sei groß. Und jetzt bestehe wenigstens die Chance, dass in der Opposition wieder »sozialdemokratische Ziele« sichtbar würden.
    Die SPD hat diese Chance lange Zeit nicht genutzt. Sie hat darüber gerätselt, was sozialdemokratische Politik im neuen Jahrhundert bedeuten könnte. Und mit ihr haben die Deutschen gerätselt, was diese Partei eigentlich will. Wofür stand zum Beispiel Nils Schmid, der nette Jungsozi aus Baden-Württemberg? War er für oder gegen Stuttgart 21? War er für oder gegen Atomkraft? Die Leute wussten es nicht und haben Grün gewählt. Klare Positionen hat die SPD in der jüngeren Vergangenheit vor allem in der Sozial- und in der Kriegspolitik bezogen. Leider die falschen. Afghanistan und Agenda 2010, zweimal A wie Abstieg. Beide Themen hängen der Partei immer noch wie Mühlsteine am Hals, und die Parteiführung fand nicht den Mut, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Tapfer wirkten die Sozis in der Großen Koalition und auch danach an jeder noch so unsinnigen Hartz-IV-Reform mit, und tapfer nickten sie jede noch so sinnlose Mandatsverlängerung durch den Bundestag und machten immerzu Schlimmes noch schlimmer. Müntefering-mäßig: Helm fester schnallen und weitermarschieren. Auch wenn man, wie eine Comicfigur, schon über den Rand der Klippe hinaus ist.
    Was hat die Partei gelernt? Dass Steinmeier der falsche Kandidat war, ließ sich im Jahr 2009 schon vor dem Wahlabend absehen. Er war freundlich bis zur Unkenntlichkeit. Er versuchte, Merkel in ihrem eigenen Spiel zu schlagen, und tat, was er konnte, um jedes Profil zu vermeiden. Aber das ist ein politisches Rezept, das nur für einen am Tisch reicht: Gegen die unkenntliche Kanzlerin mit noch mehr Unkenntlichkeit aufzutrumpfen, wie hätte das funktionieren sollen?
    Merkel kann aus der Atomkraft aussteigen, und sie könnte Frauenquoten einführen und sie braucht sich um ihr Gerede von gestern nicht scheren. Die deutschen Konservativen habe kein Wertesystem, das sie verraten könnten. Sie sind ja nicht einmal konservativ. Sie empfinden sich als der Normalfall der Regierung und tun das Notwendige, um es zu bleiben. Das ist prinzipienlos. Aber erfolgreich. Wenn die SPD das auch versucht, scheitert sie. Sie muss Sozialdemokratie neu definieren, und sie braucht einen Kandidaten, der das glaubhaft verkörpert. Sie braucht vor allem den Mut zur eigenen Haltung.
    Die SPD hätte mal etwas von den Grünen lernen können. Deren Fraktionschef Trittin hatte auf die Frage, »Was macht Linkssein aus?«, geantwortet: »Das Primat der Politik über den Markt. Das ist der Anspruch, dass Menschen sich als vernunftbegabte Wesen, als gleichberechtigte Subjekte begegnen können und sollen. Und dass Ungerechtigkeit nicht der

Weitere Kostenlose Bücher