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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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Arbeitsmarktes, weil die Zahl der unsicheren und unterbezahlten Jobs zunimmt, und auch durch finanziell marode Kommunen, die ihre sozialen Brennpunkte nicht mehr in den Griff kriegen, weil ihnen das Geld dafür fehlt.«
    Es war gut, dass Steinbrück den Kampf gegen diese Fliehkräfte in den Mittelpunkt seiner Rede gestellt hat. »Diesen Begriff habe ich in der Tat bei einer anderen Nominierungsrede das erste Mal gebraucht«, sagte er, »nämlich im November 2002 auf einem Parteitag, bei dem es um die Nominierung für die Wahl zum nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten ging.« Seitdem ist viel geschehen. Es war eine rot-grüne Bundesregierung, unter der die Zentrifugalgeschwindigkeit des gesellschaftlichen Umbaus drastisch erhöht wurde. Und es war der sozialdemokratische Finanzminister Steinbrück, der selbst nach dem Ende dieser Regierung noch durch großzügige Deregulierung der Kapitalmärkte die Verteilungs-Fliehkräfte immer weiter beschleunigte.
    Hier sprach also einer, der dabei war. Der Verantwortung trug. Dazu fiel kein Wort. Kein Wort des Eingeständnisses, keines der Einkehr. Dabei hätte ein bisschen Selbstkritik dem Kandidaten gut gestanden.
    Die ersten Wochen seiner Kandidatur sahen ja wie ein Stück politischer Satire aus. Noch kurz vor dem Parteitag hatte Steinbrück tatsächlich schon wieder einen von seinen Vorträgen halten wollen. Ausgerechnet vor einer Schweizer Privatbank, während in Nordrhein-Westfalen gerade wieder einmal eine Steuersünder-CD in den Staatsrechner geschoben wurde. Steinbrücks Begründung für diese unziemliche Verabredung: Die Abmachung sei alt, er könne nicht zurück, es drohe sonst Konventionalstrafe. Das war ein putziges Argument. Steinbrück hatte Glück, dass die Staatsanwälte noch vor ihm bei der Bank waren und eine Hausdurchsuchung machten. Da hatte er dann einen Grund zum Absagen.
    Der Kandidat erinnerte ein bisschen an Sandor Needleman, die berühmte Figur von Woody Allen. Der beugte sich einmal in der Mailänder Scala zu weit aus seiner Loge und stürzte kopfüber in den Orchestergraben. Und damit nur niemand denken konnte, das sei aus Versehen geschehen, sprang er von nun an mit Absicht jeden Abend in die Tiefe.
    Immer wieder sprang Steinbrück so in die Tiefen des medialen Orchesters, immer wieder zog er sich schwere Blessuren zu. Warum sagte Steinbrück der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«, dass Bundeskanzler zu wenig verdienen? Dass ihr Gehalt im Vergleich zu Leistung und Verantwortung zu niedrig sei? Was schwebte ihm da vor? Was war sein Maßstab? Die Banken und die Dax-Konzerne?
    Steinbrück ist ein erwachsener Mann. Aber er verhielt sich wie ein trotziges Kind. Auch als Kandidat werde er sich nicht verbiegen lassen, hatte er oft genug wiederholt. Und dann wollte er es beweisen, indem er sich nicht wie ein Kandidat verhielt. Offenbar gab es in der Parteizentrale niemanden, der ihm sagen konnte, dass er den falschen Posten hatte, wenn er narzisstische Volten schlagen wollte.
    Der Kandidat war in den ersten Monaten seiner Kandidatur so mit sich selbst beschäftigt, dass das Publikum jedem neuen Auftritt mit faszinierter Neugierde beiwohnte. Was macht er als Nächstes? In welchen Fettnapf wird er sich werfen? Man konnte sogar den Eindruck gewinnen, als seien manche Medien dazu übergegangen, sich aus Steinbrücks politischer Arbeit einen voyeuristischen Spaß zu machen. Sie verfolgten seine Reden und seine Termine mit der glucksenden Erwartung des nächsten Fettnäpfchens. Da ging es nicht um Politik, sondern um Patzer, Pannen, Peinlichkeiten.
    Anfang 2013 konnte die SPD die Wahl in Niedersachsen für sich entscheiden. Aber es war knapp. Und das lag an Steinbrück. »Es ist mir auch bewusst, dass ich maßgeblich dafür eine gewisse Mitverantwortung trage«, sagte Steinbrück noch am Wahlabend. Der Kandidat war nicht nur keine Hilfe. Er war eine Last.
    Die Sehnsucht, von der Steinbrück sprach, die gibt es. Aber wer wird sie stillen? Und was wird dann daraus werden? Man fragt sich, ob die Medien, die Intellektuellen, die Parteien dieses Landes noch Lust haben, die Kräfte, die sich da suchend bewegen, zu bündeln und zu leiten. Viel zu viele haben sich gemeinsam der großen Illusion hingegeben, Gestaltung durch Verwaltung ersetzen zu können. Damit steigt das Risiko, dass sich der Druck von unten einen anderen Weg sucht. Zum Besseren oder zum Schlechteren. Der Weg des Populismus, der in Europa neuerdings als Berlusconismus einherkommt, wäre

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