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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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der schlechtere. Berlusconismus: ein schöner Begriff, den Georg Seeßlen geprägt hat. Denn nur aus der sicheren Entfernung von Deutschland aus konnte man Silvio Berlusconi für einen schrägen Clown im Palazzo Chigi halten. Seeßlen schrieb:
    »Der berlusconistische Politiker erhält seine Macht nicht so sehr durch die parlamentarisch-demokratischen Institutionen und nicht durch die Hierarchien und Allianzen der Parteien, sondern vor allem durch die Medien. Nicht Wahl oder Diskurs entschieden über seine Macht, sondern seine mediale Präsenz – möglichst überraschend, möglichst ›unpolitisch‹. Dementsprechend definiert er sich als metaparteilich, als unabhängig und solitär. So wird er zur direkten Antwort auf die ›Politikverdrossenheit‹, die nicht zuletzt eine Parteienverdrossenheit ist: Berlusconismus ist, unter vielem anderen, Politik für Leute, die mit Politik nichts im Sinne haben, sowohl unpolitische Politik als auch politische Un-Politik.«
    Der erste wirklich berlusconistische Politiker (Nachkriegs-)Deutschlands war Karl-Theodor zu Guttenberg. Auf ihn trifft zweifellos Seeßlens Kriterium zu, »dass der berlusconistische Politiker sich nach den Gesetzen der Unterhaltungsindustrie inszeniert«. Guttenberg war ein Popstar. Seine Fans verloren über ihn buchstäblich ihren Verstand. Ein sonderbarer Mechanismus ergriff beim Anblick Karl-Theodor zu Guttenbergs Besitz von der deutschen Volksseele. Wie nach langer Entbehrung verschwendete der Wähler sein sehnsüchtiges und ausgetrocknetes Herz an die oberflächliche Männlichkeit dieses Barons, auf den ja in Wahrheit die Worte aus dem Film »Schtonk« passen, die Christiane Hörbiger voll bebender Anerkennung zu Götz George sagt: »Sie – Sie sind ja ein ganz schmieriger Typ!«
    Da konnte man nebenbei auch etwas über den deutschen Nationalcharakter lernen. Die Causa Guttenberg erinnerte daran: Das deutsche Volk ist eben doch eine »Pflanze der Natur«, wie Herder sagte, der Experte fürs Nationale. Es war, als hätten die Deutschen in Guttenberg den Weltgeist gesehen. Was legte Guttenberg bei den Deutschen frei? Das Unbehagen an der Normalität, die Traurigkeit über die Entzauberung der Welt, mit einem Wort: die Neigung zur Romantik.
    Guttenbergs Getreue riefen für ihn zwar zu Demonstrationen auf. Aber die Demos waren nicht gut besucht. Es gab keine Massenschwüre auf freiem Feld, und Choralgesang in den Kirchen gab es auch nicht. Mit dem Freiherrn erlebten die Deutschen zwar eine Rückkehr des Körpers in der Politik. Aber ihre eigenen Körper wollten seine Anhänger dann doch nicht in Bewegung setzen. Der Wutbürger demonstriert auf der Straße. Der Sehnsuchtsbürger träumt zu Hause. Er träumt vom Ende des Streits. Davon, dass aller Zwist endlich in einer Einheit aufgehen möge. Er träumt von der blauen Nacht der Demokratie. Von der Überwindung des Politischen. Nachdem Hitler die Macht übernommen hatte, schrieb Sebastian Haffner: »Es war, man kann es nicht anders nennen, ein sehr verbreitetes Gefühl der Erlösung und Befreiung von der Demokratie.« Das war die deutsche Abscheu für die Sphäre des Politischen, die Haffner da beschrieb. Es hat sich daran nicht so viel geändert.
    Mit der Überwindung des Politischen geht im romantischen Traum auch die Sehnsucht nach der Überwindung des Gesetzes einher. Denn einerseits wird das Gesetz ja nur in der als unvollkommen empfundenen Ära des Streits gebraucht. Und andererseits ist das Gesetz etwas für den Schwachen. Der Starke hat es nicht nötig. Daher rührt auch die Sehnsucht nach dem Überwinder des Gesetzes. Dem Mann, der die Regeln ungestraft brechen darf, die uns Sterbliche täglich knebeln. In diesem Sinne nahm es mancher Bürger Helmut Kohl nicht übel, als der sich über das Gesetz stellte und die Namen seiner geheimnisvollen Spender verheimlichte.
    So war es bei Guttenberg und dem Plagiat. Die Leute liebten ihn nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Regelverstöße. Die Verteidiger des Freiherrn verließen sich auf ein selbstgerechtes Volksempfinden. Sie schürten ein Murren entlang der Bruchlinie zwischen »Wir hier« und »Ihr da«. Es war das gleiche Murren, mit dem sich die Gemeinde der Gläubigen gegen die schlichte Wahrheit stemmte, dass jener andere Heilige des moralischen Prekariats, Thilo Sarrazin, in seinem Buch vor allem schlichten Blödsinn geschrieben hat.
    Hunderttausende von Gefolgsleuten im Internet, die Springer-Presse und die Bundeskanzlerin redeten sich

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