SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
gegenseitig ein, dass Guttenbergs Unglaubwürdigkeit als Doktorand von seiner Glaubwürdigkeit als Politiker loszulösen sei. Das war nicht plausibel. Es musste sich auch beim glühendsten Verehrer des Freiherrn ein unangenehmes Störgefühl einstellen, ein leises Nagen, dass hier etwas nicht stimmte. Das ist ein Kennzeichen jenes sozialpsychologischen Zustandes, den man kognitive Dissonanz nennt. »Mir geht es um die Arbeit als Bundesverteidigungsminister. Die erfüllt er hervorragend, und das ist das, was für mich zählt«, machte sich die Kanzlerin Mut. Aber das Wissen darum, dass Guttenberg sich in Wahrheit in einer für einen Minister untragbaren Art und Weise verhalten hatte, ließ sich nicht so leicht aus der Welt schaffen. Umso heftiger die Angriffe der Guttenberg-Verteidiger auf dessen Kritiker. Aber es waren keine bösen Mächte am Werk, wenn Guttenberg sich von Teilen der Medien und der Politik heftig kritisiert sah. Es waren die einfachen Regeln des Anstands, die seinen Rücktritt forderten. Die Guttenberger brachten vor, dass es in Deutschland wichtigere Themen gebe als die falschen Fußnoten des Freiherrn. Und das war ja auch vollkommen richtig. Dazu schrieb Jürgen Kaube damals in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«: »Es gibt auch Wichtigeres als Steuerhinterziehung, Fahren im angetrunkenen Zustand ..., und was nicht noch alles. Soll man darum nicht sagen dürfen, worum es sich handelt?« Um Täuschung nämlich. Daran änderte auch die schiere Masse derer nichts, die mit dem »Bild«-Kolumnisten Franz Josef Wagner zusammen sagen: »Scheiß auf den Doktor.«
Seeßlen schrieb: »Er ist ein Volksheld auch in dem Sinne, dass er sich scheinbar ehrlich – ›Blödsinn‹ – zu seinem Verhalten bekennt: Ohne bescheißen kommt man zu nichts. Wesenszug dieses Populismus ist der Anti-Intellektualismus. Insofern geht es in der Zustimmung zum Bescheißen nicht nur ums Akzeptieren unehrenhaften Verhaltens, sondern auch um die Abwertung der akademischen Institutionen.
Paradoxerweise wird in dieser Hinsicht ein Guttenberg durch den Betrug erst richtig glaubwürdig, genau so, wie er als Freiherr erst richtig glaubwürdig wird, weil er diese Rolle wie in einer schlechten Vorabendserie des deutschen Fernsehens spielt. Er vereint die akademischen und aristokratischen Distinktionen mit der Präsenz eines Parvenü: Der Freiherr als Staubsaugervertreter oder umgekehrt.«
Das ist also, um es zusammenzufassen, eine Art fröhlicher Faschismus, dem da gefrönt wird. Aber, still, der Traumdeutsche will aus seinem Schlummer nicht geweckt werden: Die Hate-Mails, mit denen kritische Journalisten von Guttenberg-Anhängern überhäuft wurden, würden Bände füllen. Auch das hat eine lange romantische Tradition, diese Wut und diese Verachtung, die den Aufklärern entgegengebracht werden. »Ich hasse die Menschen, die mit ihrer nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche Dämmerung hineinleuchten«, ließ Ludwig Tieck seinen William Lovell sagen. Auch die Politromantiker von heute scheuen das Licht. Ebenso wie die Frage nach dem Grund für ihre Verehrung. Die Frage allein entlarvt den, der sie stellt, als Ungläubigen, als Unbekehrten. In seiner Studie über die Romantik schreibt Rüdiger Safranski über die absichtsvolle Grundlosigkeit des Gefühls: »Es geht allein um die Intensität, die umso größer ist, je weniger Grund sie hat. Wenn etwas begründet ist, gibt es einen rationalen Rückbezug, der immer etwas Abklärendes, Moderierendes hat.« Gerade in ihrer Grundlosigkeit begründet sich die Liebe. 1797 hat Schiller in seinen Xenien zum Nationalcharakter gedichtet: »Zur Nation euch zu bilden, ihr hofft es, Deutsche, vergebens / Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.« Es ist offenbar andersherum gekommen.
Guttenberg war – wie Sarrazin auch – eine »politische Schwarzmarktphantasie«, um noch einmal das Wort von Oskar Negt aufzugreifen. Man kann sich die Sehnsüchte der »Bild«-Leser nach dem »Dream-Team Guttenberg/Sarrazin« (Seeßlen) vorstellen. Aber die bürgerliche Gesellschaft, im Sinne der Gesellschaft der Citoyens, erwies sich als resilient. Eine populistische Partei blieb Deutschland erspart. Jedenfalls eine bösartige, wie sie die europäischen Nachbarn beinahe alle kennengelernt haben. Die deutsche Antwort auf den Druck des Populismus war, so paradox das klingen mag, die Piratenpartei. Da sind wir noch gut weggekommen.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendwann auch in
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