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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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werden.«
    Da fand eine unerwartete Solidarisierung mit der Politik statt, und es waren plötzlich die Medien, die in Rechtfertigungsdruck gerieten. Männer wie Wulff und Guttenberg wissen das und setzen darauf. Sie setzen auf den Sympathiebonus (Guttenberg) oder den Mitleidsbonus (Wulff) und machen ihrerseits den Medien Vorhaltungen. Der Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, blies ins gleiche Horn, als er die Medien wegen »ihrer offensichtlich nicht nur an Aufklärung interessierten Berichterstattung« kritisierte. In der Tat: Medien wollen Einfluss, Auflage, Geld, Ehre. Das sind die Triebkräfte. In der offenen Gesellschaft werden sie zum Guten eingesetzt: zur Kontrolle der Macht. Manchmal kann man mit der hehren Gesinnung von Journalisten rechnen, meistens sollte man mit ihrem Jagdeifer rechnen. Der Demokratie genügt das.
    Das Problem ist, dass der Umgang, den unsere heutigen Politiker mit ihren Skandalen pflegen, nicht ohne Folgen bleibt. Sie sind selber durch die Schule des Zynismus gegangen, sie erziehen ihre Wähler dazu, und als Leser begegnen diese Menschen auch ihren Medien mit dem zynischen Blick: Sie glauben nichts mehr. Das Buch, das Guttenberg mit »Zeit«-Chef di Lorenzo veröffentlichte, war ein großer Schritt in diese Richtung, und das Interview, das Christian Wulff ARD und ZDF gab, ein weiterer. Es waren Beschädigungen des gesprochenen Wortes und der Form des journalistischen Gesprächs. Niemand kam dabei gut weg: die Politiker nicht, aber auch nicht die Journalisten, die sie befragten, und das Publikum, das folgen musste. Alle wurden mit hineingezogen.
    Unsere Öffentlichkeit ist auf dem amerikanischen Weg. Wenn dort ein Popstar im Vollrausch die Freiheitsstatue besudeln würde, bekäme er nachher Besuch von zwei TV-Moderatoren und könnte sich in der Kunst der öffentlichen Selbstzerfleischung üben: Es tut mir so leid. Die Drogen. Der Ruhm. Es war alles zu viel. Aber jetzt habe ich in den Abgrund geblickt und kann euch zurufen: Macht es nicht so wie ich! Das war der Weg von Guttenberg und Wulff. Als er im ZDF gefragt wurde, ob er jetzt noch die Pressefreiheit verteidigen könne, sagte der Bundespräsident einfach: »Das habe ich ja gerade getan. Auf der Reise in die arabische Welt. Da habe ich den Studenten gesagt, wie schmerzhaft das sein kann, für die Betroffenen, für die Familien.« Weil ihm selber also die Presse schon mal auf den Leib gerückt ist und er versucht hat, sie sich vom Hals zu halten, ist er als Prediger der Pressefreiheit umso geeigneter.
    Den »bittersten Schmerz« nennt Søren Kierkegaard die Reue und schreibt, sie »will nicht gesehen werden«. Das ist nicht die Haltung von Politikern des Schlages Wulff und Guttenberg. Die halten es lieber mit Nietzsche, der Gewissensbisse für eine Krankheit hielt und empfahl, niemals der Reue Raum zu geben: »Dies hieße ja, der ersten Dummheit eine zweite zugesellen.«
    Das ist nur möglich, weil es Medien gibt, die im Notfall gerne aushelfen. Das Buch, das di Lorenzo gemeinsam mit Guttenberg veröffentlichte, war ein echter Freundschaftsdienst. »In Ihr Gesicht schleicht sich hin und wieder ein harter Zug ein«, sagte di Lorenzo beinahe besorgt, und Guttenberg nahm es gerne auf: »Ich bin durch das, was sich in diesem Jahr abgespielt hat, schwer gezeichnet.« Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Medien an der Inszenierung der Politik zum Theater mitwirken. Was Guttenberg anging, musste man allerdings bei manchen Medien einen schweren Fall von Berlusconismus diagnostizieren, ein für Deutschland neues Phänomen, mit dem wir uns bereits beschäftigt haben.
    Und wieder fällt einem Sloterdijks Zynismusdefinition ein. Es gibt einen Machtzynismus und einen Verzweiflungszynismus. Beiden gemeinsam ist die Hoffnungslosigkeit. Der eine tarnt sie als Pragmatismus, der andere als bitteren Spott. Dafür hat Tom Strohschneider, der spätere Chefredakteur des »Neuen Deutschlands«, einmal im Netz ein gutes Beispiel gegeben: »Es ändert sich im Grunde nichts, wenn im Schloss Bellevue jemand sitzt, der so aufrichtig ist, das Geld, das ich nicht habe, gar nicht anzunehmen«, schrieb Strohschneider. Ob Wulff oder ein anderer – für jene, die sich fremd fühlen, wo Geld, Politik und Medien sich zu Macht ballen, ist das ohne Bedeutung. Die Enttäuschung, die in diesem Gedanken wohnt, ist der Anfang vom Ende. Das System zerfällt. Das ist dann das, was nach der Postdemokratie kommt. Colin Crouch hatte noch geschrieben, dass der Ruf

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