SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
ihn in seinem Text immerzu brüllen und hassen, und eigentlich beschreibt er ihn wie ein wildes Tier. Was für ein Unterschied dagegen Kurbjuweits Ideal vollendeter Bürgerlichkeit: Thomas Buddenbrook, der zwar bekanntlich am Ende von Thomas Manns Roman untergeht, das aber wenigstens mit Contenance und in tadelloser Haltung.
Im Rückblick freilich stellt sich heraus, dass Stuttgart 21 gar kein so gutes Beispiel für eine angebliche wutbürgerliche Zukunftsfeindlichkeit war. Die Stuttgarter Protestler hatten gar kein schlechtes Gespür für den Irrsinn des Bahnhofsprojekts. Im Dezember 2012 musste die Bahn einräumen, dass die Kosten nicht wie geplant 4,5 Milliarden Euro betragen würden, sondern eher bei 6,8 Milliarden Euro lägen – aber nicht mal brennende Bahnhofsfreunde hätten für diese Summe ihre Hand ins Feuer legen wollen.
Wer soll das bezahlen? Das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart, beide in grüner Hand, teilten mit, man werde sich an die vertraglichen Zusagen halten, die die Vorgänger von der CDU gegeben hatten – aber eben nur das. Es werde kein Cent zusätzlich bereitgestellt: »Mir gäbet nix«, sagte der grüne Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn.
Ein Papier für den Bahn-Aufsichtsrat stellte im Frühjahr 2013 fest, dass der Bahnhof nicht mehr wirtschaftlich zu bauen sei, dass aber ein Ausstieg noch teurer werde: »Mit dem heutigen Kenntnisstand würde man das Projekt nicht beginnen, sehr wohl aber fortführen.« Das bedeutet, es wird weitergebaut, obwohl es unsinnig ist. Auch ein Infrastrukturprojekt muss sich aber an Rentabilitätskriterien messen, und hier wäre die »Eigenkapitalverzinsung negativ«, wie es in einem Papier des Bundesverkehrsministeriums hieß.
Spätestens das ist einer zum Effizienzdenken erzogenen Öffentlichkeit nicht mehr zu vermitteln: Warum soll man einen Bahnhof bauen, der sich nicht rechnet? Aus Spaß? Für das Prestige?
Früher hat man aus solchen Gründen gebaut. Gerhard Matzig gedachte in der »Süddeutschen Zeitung« wehmütig dieser Zeiten: »Die großen Bauherren und Architekten der Vergangenheit waren selten demokratisch legitimiert: Dennoch bewundern wir die Bauten der Kirche oder die Stadtgestaltungen der Fürsten.« Matzig, ein Architekturkenner, hatte sich aus seiner Sicht Sorgen um das wachsende Wutbürgertum gemacht und sich gefragt, wie es denn um das architektonische Niveau stehe, wenn bürgerliches Geschmäcklertum die Bauherrschaft übernimmt: »Wie bei den großen Infrastrukturvorhaben schon jetzt zu erleben, werden auch die kleineren Eingriffe in Zukunft mehr Diskussion, mehr Protest und auch mehr Teilhabe mit sich bringen. Das ist ein Schritt in Richtung eines demokratischeren Stadt-Verständnisses. Gut so. Eine Garantie für strukturellen Weitblick und anspruchsvolle Baukultur ist es aber nicht.« Es sei nämlich, schrieb der Architekturkritiker, der barocke Kern von Salzburg »nicht dem Trillern einer Bürgerinitiative zu verdanken – sondern der Geltungssucht eines Herrschers. ... Oder der Eiffelturm in Paris. Gegen den Turm wehrte sich vor mehr als einem Jahrhundert halb Paris. Vorneweg: die intellektuelle Elite der Stadt. In einem ›Manifest‹ der Künstler und Denker war zu lesen: ›Wird die Stadt Paris sich wirklich den (...) geschäftstüchtigen Phantastereien einer Maschinenkonstruktion anschließen, um sich für immer zu schänden und zu entehren?‹«
Das wird schon alles so stimmen. Allein, heute geht es in den seltensten Fällen um den Bau eines neuen Eiffelturms oder eines weiteren Straßburger Münsters, dafür aber immerzu um neue Shoppingcenter und unsinnig teure Wohnklötze, die dem Prozess der Gentrifizierung eine ganz neue Dimension verleihen. Der »FAZ«-Redakteur Niklas Maak hat dazu geschrieben: »Die neuen Bauprojekte verdrängen nicht einfach nach guter alter Gentrifizierungsart das Einfache und Provisorische durch ein wohlhabendes bürgerliches Leben. Sie zombifizieren die Stadt: Sie lassen das, was sie verdrängten – die Ateliers, die kleinen Kunsträume, das Improvisierte, Provisorische – als wertsteigerndes, belebendes Bild wiederauferstehen. Die neue Stadt baut als Fiktion nach, was sie soeben verdrängte«. Das sind keine Gehäuse staatsmächtiger Repräsentation mehr, in denen sich irgendwann einmal auch das demokratische Gemeinwesen gerne einrichtet. Hier geht es einfach nur um eine Privatisierung des öffentlichen Raums – und eine Demokratisierung des schlechten Geschmacks. Da
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