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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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Gewalttätigkeit nicht vorwerfen können. Manchmal kommt die Gegengewalt auch gleich von Anfang an und ist dann nichts weiter als Gewalt, Staatsgewalt.
    Aber ganz gleich, ob der Staat die Demonstranten kauft oder verprügelt oder, was die häufigste Variante ist, einfach ignoriert – er schätzt sie nicht. Er misstraut ihnen. Er diskreditiert sie. Der amerikanische Ethnologe David Graeber hat beschrieben, wie die Globalisierungsgegner von Seattle wahlweise als Kinder reicher Eltern mit Treuhandfonds oder als gewaltbereite Chaoten verunglimpft worden waren. Jeder Widerstand ist dem Staat verdächtig. Dem Gesetz ist Folge zu leisten. Das Gesetz hat recht. Wer es ändern will, dem stehen die entsprechenden Verfahren zur Verfügung. Zwar ist das Recht auf Demonstration Teil des Verfahrens. Aber es ist ein widerwillig zugestandenes Recht. Es widerspricht der Ideologie des Gehorsams, die immer noch viel stärker ist als das Ideal der Verantwortung. Der gehorsame Mensch ist froh darüber, dass er im demokratischen Rechtsstaat die eigene Verantwortung so einfach und mit gutem Gewissen an Parlament und Polizei delegieren darf. Weil dieses Denken dem deutschen Wesen immer noch eingewoben ist, haben wir die größte Krise des Kapitalismus beinahe wie in einem Traum erlebt. Die Katastrophe des Vertrauens, die Vernichtung der Werte, der materiellen und der ideellen, das ist alles sonderbar spurlos an Deutschland vorübergegangen. Ja, wir haben einen neuen Protest erlebt, und natürlich war das ein politischer Protest, denn unpolitischen Protest gibt es gar nicht. Aber er war nicht gerade reich an revolutionärem Willen im Sinne von: dem Willen nach einem umwälzenden Fortschritt. Nach einer allgemeinen, gemeinschaftlichen Bewegung nach vorne, nach einer Abkehr von bisherigen Irrwegen, nach einer Flucht aus der beklemmenden Enge einer gescheiterten Wirklichkeit. Und wann wäre die Zeit für einen solchen Schritt gewesen, wenn nicht jetzt?
    Und gerade jetzt wurde er verpasst. Kein Wunder. Was die Demokratie angeht, hat in Deutschland von jeher die Realo-Fraktion die Nase vorn. Es ist bezeichnend, dass selbst der Politikwissenschaftler Franz Walter, Leiter des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, in seiner Studie warnt: »Gerade die deutsche Gesellschaft liefert historisch vor allem für die Jahre 1925 bis 1932 deutliche Hinweise darauf, dass ›Organisation und Aktivierung‹ von Bürgervereinigungen jenseits von Staat und Parteienwesen keineswegs, wie es in der Tradition von Alexis de Tocqueville heute weithin gern axiomatisch unterstellt wird, zur Stabilisierung von Demokratie und Zivilität beitragen müssen. ... Die Zivilgesellschaft, also der von Bürgern selbst organisierte Raum zwischen Staat und Individuen, ist nicht allein ein Gewächshaus für löbliche Tugenden.«
    Man misstraut der Zivilgesellschaft, sobald sie erwacht.
    Da passt es, dass in dieser Zeit der verpassten Chance ausgerechnet die Grünen als einzige Partei den politischen Profit dieser Baisse unseres Kapitaldemokratismus einstreichen. Irgendeinen Profiteur gibt es immer. Aber die Grünen gewannen, weil sie beides verkörpern, Revolution und Restauration. Gleichzeitig. Und glaubwürdig. Das schafft sonst keine Partei.
    Nur die Grünen können sowohl glaubhaft an der Seite der Demonstranten stehen als auch an der Seite derer, die die Demonstrationen verbieten wollen. Ein deutscher Grüner ist immer beides zur gleichen Zeit, Citoyen und Bourgeois. In Frankfurt regieren die Grünen gemeinsam mit der CDU. Deren Ordnungsdezernent hatte umfangreiche Verbote erlassen, als die Kapitalismuskritiker im Frühjahr 2012 ankündigten, auf die Frankfurter Banken zu marschieren. Die Grünen nannten das »bedauerlich« – und beließen es dabei. Nachher fragte man den Chef der Frankfurter Grünen, Omid Nouripour, ob diese Situation nicht eine Zerreißprobe für die Koalition gewesen sei. Und er sagte: »Ich sehe hier keine Zerreißprobe. Bei den Grünen gab es schon immer eine lebendige Diskussion und keinen Einheitsbrei. Das war bei der OB-Wahl so, und das gilt auch für Blockupy.« Schließlich sei es hier um die Abwägung verschiedener Rechtsgüter gegangen: »Das eine ist das grundsätzlich verbriefte Recht auf friedliche Demonstrationen, das andere die allgemeine Sicherheit, auch die der Unbeteiligten.«
    Nouripour konnte ganz entspannt darauf verweisen, dass die Gerichte, bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht, den Verboten stattgegeben hatten.

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