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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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Rechtsstaatlich also alles in Ordnung. Es war interessant, dass dieser Grüne so argumentierte: Er sagte, die Gerichte würden »in Deutschland traditionell sehr selten Demonstrationen untersagen« – das insinuiert, dass hier also gute Gründe vorgelegen haben müssen und man wegen der Verbote kein allzu schlechtes Gewissen haben sollte. Er kam gar nicht auf die Idee, in dem Verbot der Gerichte einen Hinweis auf die besondere Dringlichkeit der Demonstrationen zu sehen. Er kam gar nicht darauf, dass die Banken, um die es hier ging, vom Staat vielleicht nicht nur vor dem Bankrott geschützt werden, sondern auch vor den Bürgern. Dass sie nicht nur too big to fail sein könnten, sondern auch too big to trouble .
    »Antikapitalismus« schrieb die Polizei in Frankfurt an die Stelle, wo auf dem Formblatt der Grund zur Festnahme einzutragen ist. Und ein Auftritt des Anthropologen und Anarchisten David Graeber, der aus seinem Buch »Schulden«vorlesen wollte, wurde vom Staatsschutz verboten.
    Jedes System schützt sich selbst, so gut es kann. Wo ist der Unterschied, ob jemand wegen »Antikapitalismus« festgesetzt wird oder wegen »Antisozialismus«? Auch die Sicherheitsorgane der DDR bekamen ihr Gehalt dafür, mit den Mitteln des ostdeutschen Rechtsstaats gegen Systemfeinde vorzugehen. Das westdeutsche System hat jedoch ohne Zweifel die wirkungsvollere Strategie im Umgang mit der Abweichung entwickelt. Es ist um so vieles geschmeidiger als sein gescheiterter Vetter aus dem Osten. Das ist keine neue Erkenntnis. Sie war nur in Vergessenheit geraten. Herbert Marcuse veröffentlichte seinen »One-Dimensional Man« schon 1964. Er behauptete darin, dass die »traditionellen Mittel und Wege des Protests« unwirksam geworden seien, weil der moderne Kapitalismus gelernt habe, auch den Protest zu integrieren. Marcuse sagte, der herkömmliche Protest sei sogar gefährlich, weil er dazu beitrage, die »Illusion der Volkssouveränität« aufrechtzuerhalten. Das ist ein außerordentlich gefährlicher Gedanke. Wir werden darauf noch zu sprechen kommen.
    Was in Frankfurt Blockupy hieß, war ein Zitat der amerikanischen Occupy-Bewegung: Besetzung und Blockade der Finanzzentren. In Frankfurt ging es um die Banken und, noch empfindlicher für das System, um das Herz des kontinentalen Geldwesens, die Europäische Zentralbank. Da zeigte sich der neue Realismus dieser Demonstranten: Die Politik war gar nicht mehr ihr Adressat. Und in Frankfurt stellte sich auch der neue Typus dieser sozialen Bewegung vor, der aus der Finanzkrise erwachsen war. Der Soziologe Oliver Nachtwey, der dabei war, schrieb: »Auf der Demonstration liefen die Bankenkritiker von Occupy zusammen mit Attac, Kernkraftgegnern, Anarchisten, Tierschützern, Sozialisten, Gewerkschaftsjugendlichen und einem überraschend großen Kontingent von Stuttgart-21-Gegnern, die zeigten, dass sie keineswegs nur die Probleme vor ihrer Haustür beschäftigen.«
    Nachtweys Beobachtung war dennoch eher ungewöhnlich. Zwar hat man sich inzwischen daran gewöhnt, von den »neuen Protestbewegungen« zu sprechen und Stuttgart 21 und Occupy in einem Atemzug zu nennen. Es gibt aber neben der Gemeinsamkeit des neuen zivilen Ungehorsams erhebliche Unterschiede im Personal. Junge Leute, Männer und Frauen, haben die Occupy-Proteste getragen. Stuttgart 21 und die Demonstrationen gegen Stromleitungen oder Windparks haben einen ganz anderen sozialen Hintergrund: männlich, älter, geregeltes Einkommen, technische Berufe. Man kann das in Walters Gesellschaftsstudie nachlesen – die übrigens mit Mitteln des Ölmultis BP erstellt wurde. Die neuen Demonstranten haben jede Menge Zeit, keine (kleinen) Kinder, eine gute Ausbildung, sie sind sozial abgesichert. Die Bezeichnung »bürgerlich« trägt der neue Protest also nicht zu Unrecht.
    Es ist bemerkenswert, dass solche Gruppen sich in Stuttgart vor die Wasserwerfer der Polizei stellten. Eher dem erwarteten Demonstrationsmuster ihrer Generation gehorchten dagegen jene jungen Leute, die in Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, Berlin und sogar in Kiel ihre Protestlager aufschlugen, vor den Börsen, den politischen Zentren, in den Einkaufsstraßen, und dort blieben sie einfach. Die Polizei räumte nach und nach diese Camps, das letzte, in Hamburg, trotzte noch Anfang 2013 seiner Auflösung.
    Aber gemeinsam war all diesen Menschen, dass sie ihren Körper in die Politik einbrachten. So wie die Demonstranten im Wendland es tun, die sich in den Castor-Demonstrationen

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