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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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Gegnerschaft gegenüber, und auch wenn es nicht zu Auseinandersetzungen kommt, sind diese doch als Möglichkeit, ja, als Wahrscheinlichkeit immer gegenwärtig. Der Demonstrant macht sich zum möglichen Opfer von Gewalt und zum möglichen Täter. Er bringt also das Gewicht des Risikos in die politische Auseinandersetzung.
    Man muss sich das klarmachen: Jedes massenhafte, persönliche, öffentliche Erscheinen birgt das Risiko der Gewalt, aktiv und passiv, zufügend und erleidend. Es besteht deshalb kein prinzipieller Unterschied zwischen potentieller und aktueller Gewalt. Unsere Ächtung der Gewalt gilt nur graduell, nicht absolut – auch wenn wir uns daran gewöhnt haben, das zu glauben.
    Denn wer die Gewalt aus der politischen Auseinandersetzung vollständig entfernen wollte, müsste Demonstrationen verbieten und dürfte nur noch die elektronische Akklamation zulassen. Die digitale Welt wendet sich vom Körper ab. Beinahe mit Ekel, so wie ihn der nur virtuell existierende, körperlose Agent Smith im »Matrix«-Film empfindet: »Vor allem den Geruch! Falls so was existiert. Ich bin seiner sozusagen überdrüssig! Ich kann riechen, wie Sie stinken, und jedes Mal, wenn ich es rieche, fürchte ich mich infiziert zu haben. Es ist abstoßend, finden Sie nicht!?«
    Aber ohne persönliche Präsenz und das gesprochene Wort, die in der zusehends körperlosen Welt der Digitalisierung nicht mehr vorgesehen sind, leidet der politische Streit. Denn die Entkörperlichung der Politik würde nur denen nutzen, die es nicht nötig haben, demonstrieren zu gehen, um ihre Interessen durchzusetzen. Wem nützt also die allgemeine Ächtung der Gewalt in der politischen Auseinandersetzung? Die konventionelle Antwort lautet heute: uns allen. Die zumindest in Westeuropa langsam, aber stetig voranschreitende Befriedung der politischen Auseinandersetzung wird als zivilisatorischer Fortschritt empfunden. Seit dem Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) stellte sich die Gewaltfrage für die deutsche Öffentlichkeit unter anderen Vorzeichen. Und spätestens seit dem Gründungsparteitag der Grünen in Karlsruhe im Jahr 1980 galt sie als beantwortet: Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei, lautete das Motto der politischen Kräfte, die den Weg von der außerparlamentarischen Opposition ins Herz des Systems genommen hatten. Innenpolitisch hält man seitdem von politischer Gewalt nichts mehr. Außenpolitisch sieht das bekanntlich anders aus.
    Die deutsche Öffentlichkeit glaubt nicht mehr an legitime Gewalt im innenpolitischen Streit und nicht an die Unterscheidung zwischen Gewalt gegen Personen und gegen Sachen. Wir glauben stattdessen an das unbedingte und geradezu heilige Gewaltmonopol des Staates.
    Nur am gesellschaftlichen Rand bekennt man sich noch zur Gewalt, bei Neonazis, Hooligans und Links-Autonomen. Aber dort hat die Gewalt mit Politik oft genug nicht viel zu tun, sondern mit Selbstinszenierung und absichtsvoller Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft. Die Gewalt ist da kein Mittel für irgendeinen Zweck, sondern eine Geste. Wenn wir in Deutschland an politisch motivierte Gewalt denken, erinnern wir Älteren uns sofort an die Terroristen der RAF. Und das ist keine gute Erinnerung: Mord, Antisemitismus, verquaste Ideologie – die deutschen Linksextremen waren ihren Nazi-Eltern, von denen sie sich so sehr unterscheiden wollten, nur allzu ähnlich. Wir misstrauen der Gewalt zunehmend. Das ist auch Zeichen des sozialen Fortschritts, weil Gewalt, wie gesagt, etwas für Arme ist. Wir sind der Meinung, dass sich diskreditiert, wer Gewalt anwendet. Auch der Staat muss sich heute mehr als früher rechtfertigen, wenn er von seinem Gewaltrecht Gebrauch macht. Der Blinde von Stuttgart und die Prügelpolizisten, auch sie haben den baden-württembergischen Regierungschef Mappus sein Amt gekostet.
    Die Presse leidet immer noch unter einer kognitiven Verzerrung, wenn es um Polizeigewalt geht. Die Wahrscheinlichkeit, dass in den Medien die Demonstranten als die Schuldigen und Auslöser der Gewalt bezeichnet werden, ist viel größer, als dass übermäßige Staatsgewalt kritisiert wird. Von der zögerlichen Verfolgung solcher Gewalt durch Gerichte und Staatsanwaltschaften ganz zu schweigen. Aber dennoch kann man die These wagen, dass die Öffentlichkeit heute der staatlichen Gewalt beinahe ebenso skeptisch gegenübersteht wie der nichtstaatlichen. Man kann das als Zeichen einer zunehmenden Friedfertigkeit sehen. Wir wissen von der Gewalt in allen

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