Sämtliche Dramen
Vater, jammre nicht umsonst:
Es hört dich kein Tribun, kein Mensch steht hier,
Und einem Stein erzählst du deinen Gram.
Titus
.
Ach, Sohn, für deine Brüder red’ ich hier: –
Weise Tribunen, hört mich noch einmal!
Lucius
.
Mein Vater, kein Tribun vernimmt dich mehr!
Titus
.
Es ist ja eins, mein Knabe; hörten sie,
Sie würden’s nicht beachten; täten sie’s,
Es wär’ umsonst, sie blieben ungerührt.
Drum klag’ ich meinen Gram den Steinen vor,
Die, ob sie gleich bei solchem Jammer stumm,
Mir dennoch lieber, als Tribunen sind,
Denn keiner unterbricht die Rede mir;
Und wenn ich weine, mir zu Füßen still
Empfahn sie meine Tränen, weinen mit,
Und, hüllten sie sich nur in ernst Gewand,
Rom hätte nicht Tribunen diesen gleich. –
Ein Stein ist weich wie Wachs, Tribunen hart wie Steine;
Ein Stein ist schweigend und betrübt uns nicht, –
Tribunenzunge spricht das Leben ab! –
Doch weshalb stehst du mit gezücktem Schwert?
Lucius
.
Von ihrem Tod die Brüder zu befrein;
Und den Versuch bestrafte das Gericht,
Indem sein Spruch auf ewig mich verbannt.
Titus
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O Glücklicher! Begünstigt wurdest du!
Kurzsicht’ger Lucius, dünkt dich Rom denn nicht
Wie eine Wüstenei, von Tigern voll?
Tiger sind da zum Raub; Rom hat an Raub
Nur mich und euch; wie glücklich bist du dann,
Von den Verschlingenden verbannt zu sein! –
Doch wer naht mit dem Bruder Marcus hier?
Marcus kommt mit Lavinia.
Marcus
.
Bereit zu weinen sei dein edles Aug’;
Wo nicht, zerspringe dir das edle Herz!
Ich bringe deinem Alter tödlich Leid! –
Titus
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Wird es mich töten? Wohl, so laß mich’s schaun!
Marcus
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Dies war dein Kind!
Titus
.
Und ist es jetzt noch, Marcus!
Lucius
.
Weh! Dieser Anblick tötet mich!
Titus
.
Schwachherz’ger Knabe! auf, und sich sie an!
O sag, mein Kind, durch wes verfluchte Hand
Kommst du so handlos vor des Vaters Blick?
Wer ist der Tor, der Wasser trug ins Meer
Und Holz in Trojas hellentflammten Brand?
Mein Gram stand auf dem Gipfel, eh’ du kamst:
Jetzt, gleich dem Nil, bricht er die Schranken durch. –
Ein Schwert! Auch meine Hände hau’ ich ab!
Sie fochten ja für Rom, und ganz umsonst!
Wenn sie mich nährten, pflegten sie dies Leid;
Vergeblich im Gebet erhob ich sie,
Und ohne Segen hab’ ich sie gebraucht! –
Nun sei ihr letzter Dienst von mir begehrt,
Daß mir die eine helf’ abhaun die andre!
’s ist gut, Lavinia, daß du ohne Hand;
Denn Rom zu dienen helfen Hände nicht!
Lucius
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Sprich, holde Schwester, wer dich so gemartert?
Marcus
.
Ach! der Gedanken lieblich Instrument,
Das süße Redekunst so hold geplaudert,
Riß man aus seines zarten Käfigs Haft,
Wo’s wie ein süß melod’scher Vogel sang,
Im Wechselton entzückend jedes Ohr!
Lucius
.
Statt ihrer sprich! Wer hat die Tat vollbracht?
Marcus
.
So fand ich sie, ach! schweifend in dem Forst,
Besorgt, sich zu verbergen wie ein Reh,
Das eine unheilbare Wund’ empfing!
Titus
.
Sie war mein Reh, und der die Wund’ ihr schlug,
Tat weher mir, als hätt’ er mich durchbohrt.
Nun steh’ ich wie ein Mann auf einem Fels,
Umgeben von der weiten, wüsten See,
Der Wog’ auf Woge schwellen sieht die Flut,
Und stets erwartet, ob ein neid’scher Schwall
In seine salz’gen Tiefen ihn begräbt.
Zum Tod hier gingen meine armen Söhne;
Hier steht mein andrer Sohn, aus Rom verbannt,
Und hier mein Bruder, weinend um mein Weh;
Doch was am schärfsten meine Seele spornt,
Ist mein geliebtes Kind, mein liebstes Herz. –
Und hätt’ ich nur dein Bildnis so gesehn,
Ich fiel’ in Wahnsinn: was denn soll ich tun,
Erblick’ ich deinen holden Körper so?
Ohn’ Hände, deine Tränen abzutrocknen,
Noch Zunge, zu erzählen, wer dich quälte!
Tot ist dein Gatte, und um seinen Tod
Verurteilt deine Brüder, jetzt enthauptet!
Sieh, Marcus! ach, Sohn Lucius, sieh sie an!
Als ich die Brüder nannte, netzte gleich
Die Wange frisches Naß, wie Honig taut
Auf die gepflückte, fast gewelkte Lilie!
Marcus
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Vielleicht weint sie, weil jene ihn getötet;
Vielleicht, weil sie die Brüder schuldlos weiß!
Titus
.
Wenn sie ihn töteten, dann sei vergnügt,
Denn schon zur Strafe zog sie das Gesetz.
Nein, nein! sie übten nicht so arge Tat:
Das zeugt der Gram, der ihre Schwester beugt.
Mein holdes Kind, die Lippen küss’ ich dir;
Ein Zeichen gib, wie ich dir irgend helfe:
Willst du, daß Lucius und dein guter Ohm
Und du und ich um einen Quell uns setzen,
Und,
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