Sämtliche Dramen
nicht mein Sohn, der Freund Mercutios;
Was dem Gesetz doch heimfiel, nahm er bloß,
Das Leben Tybalts.
Prinz
.
Weil er das verbrochen,
Sei über ihn sofort der Bann gesprochen.
Mich selber trifft der Ausbruch eurer Wut,
Um euren Zwiespalt fließt mein eignes Blut;
Allein ich will dafür so streng euch büßen,
Daß mein Verlust euch ewig soll verdrießen.
Taub bin ich jeglicher Beschönigung;
Kein Flehn, kein Weinen kauft Begnadigung;
Drum spart sie: Romeo flieh’ schnell von hinnen!
Greift man ihn, soll er nicht dem Tod entrinnen.
Tragt diese Leiche weg! Vernehmt mein Wort:
Wenn Gnade Mörder schont, verübt sie Mord!
Alle ab.
¶
Zweite Szene
Ein Zimmer in Capulets Hause.
Julia tritt auf.
Julia
.
Hinab, du flammenhufiges Gespann,
Zu Phöbus’ Wohnung! Solch ein Wagenlenker
Wie Phaeton jagt’ euch gen Westen wohl,
Und brächte schnell die wolk’ge Nacht herauf. –
Verbreite deinen dichten Vorhang, Nacht!
Du Liebespflegerin! damit das Auge
Der Neubegier sich schließ’, und Romeo
Mir unbelauscht in diese Arme schlüpfe. –
Verliebten g’nügt zu der geheimen Weihe
Das Licht der eignen Schönheit; oder wenn
Die Liebe blind ist, stimmt sie wohl zur Nacht. –
Komm, ernste Nacht, du züchtig stille Frau,
Ganz angetan mit Schwarz, und lehre mir
Ein Spiel, wo jedes reiner Jugend Blüte
Zum Pfande setzt, gewinnend zu verlieren!
Verhülle mit dem schwarzen Mantel mir
Das wilde Blut, das in den Wangen flattert,
Bis scheue Liebe kühner wird und nichts
Als Unschuld sieht in inn’ger Liebe Tun.
Komm, Nacht! – Komm, Romeo, du Tag in Nacht!
Denn du wirst ruhn auf Fittigen der Nacht
Wie frischer Schnee auf eines Raben Rücken. –
Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gib
Mir meinen Romeo! Und stirbt er einst,
Nimm ihn, zerteil’ in kleine Sterne ihn:
Er wird des Himmels Antlitz so verschönen,
Daß alle Welt sich in die Nacht verliebt
Und niemand mehr der eiteln Sonne huldigt. –
Ich kaufte einen Sitz der Liebe mir,
Doch ach! besaß ihn nicht; ich bin verkauft,
Doch noch nicht übergeben. Dieser Tag
Währt so verdrießlich lang mir, wie die Nacht?
Vor einem Fest dem ungeduld’gen Kinde,
Das noch sein neues Kleid nicht tragen durfte.
Die Wärterin mit einer Strickleiter.
Da kommt die Amme ja: die bringt Bericht;
Und jede Zunge, die nur Romeon
Beim Namen nennt, spricht so beredt wie Engel.
Nun, Amme? Sag, was gibt’s, was hast du da?
Die Stricke, die dich Romeo hieß holen?
Wärterin
.
Ja, ja, die Stricke!
Sie wirft sie auf die Erde.
Julia
.
Weh mir! Was gibt’s? Was ringst du so die Hände?
Wärterin
.
Daß Gott erbarm’! Er ist tot, er ist tot, er ist tot!
Wir sind verloren, Fräulein, sind verloren!
O weh uns! Er ist hin! ermordet! tot!
Julia
.
So neidisch kann der Himmel sein?
Wärterin
.
Ja, das kann Romeo; der Himmel nicht.
O Romeo, wer hätt’ es je gedacht?
O Romeo! Romeo!
Julia
.
Wer bist du, Teufel, der du so mich folterst?
Die grause Hölle nur brüllt solche Qual.
Hat Romeo sich selbst ermordet? Sprich!
Ist er entleibt: sag ja! wo nicht: sag nein!
Ein kurzer Laut entscheidet Wonn’ und Pein.
Wärterin
.
Ich sah die Wunde, meine Augen sahn sie –
Gott helf’ ihm! – hier auf seiner tapfern Brust;
Die blut’ge Leiche, jämmerlich und blutig,
Bleich, bleich wie Asche, ganz mit Blut besudelt –
Ganz starres Blut – weg schwiemt’ ich, da ich’s sah.
Julia
.
O brich, mein Herz! verarmt auf einmal, brich!
Ihr Augen, ins Gefängnis! Blicket nie
Zur Freiheit wieder auf! Elende Erde, kehre
Zur Erde wieder! Pulsschlag, hemme dich!
Ein Sarg empfange Romeo und mich!
Wärterin
.
O Tybalt, Tybalt! O mein bester Freund!
Leutsel’gerTybalt! wohlgesinnter Herr!
So mußt’ ich leben, um dich tot zu sehn?
Julia
.
Was für ein Sturm tobt so von jeder Seite?
Ist Romeo erschlagen? Tybalt tot?
Mein teurer Vetter? teuerster Gemahl? –
Dann töne nur des Weltgerichts Posaune!
Wer lebt noch, wenn dahin die beiden sind?
Wärterin
.
Dahin ist Tybalt, Romeo verbannt;
Verbannt ist Romeo, der ihn erschlug.
Julia
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Gott! seine Hand, vergoß sie Tybalts Blut?
Wärterin
.
Sie tat’s! sie tat’s! O weh uns, weh! Sie tat’s!
Julia
.
O Schlangenherz, von Blumen überdeckt!
Wohnt’ in so schöner Höhl’ ein Drache je?
Holdsel’ger Wüt’rich! engelgleicher Unhold!
Ergrimmte Taube! Lamm mit Wolfesgier!
Verworfne Art in göttlicher Gestalt!
Das rechte Gegenteil des, was mit Recht
Du scheinest: ein
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