Sämtliche Dramen
seid mir ein verklärter Himmelsgast
Und durch Enthaltsamkeit unkörperlich;
Drum muß das Wort mit Euch wahrhaftig sein,
Als nahte man sich einer Heiligen.
Isabella
.
Ihr lästert das Erhabne, mich verhöhnend.
Lucio
.
Das glaubt nicht! Kurz und wahr, so steht die Sache:
Eu’r Bruder und sein Liebchen herzten sich;
Und wie die Speise füllt; der blüh’nde Mai
Den dürren Furchen nach der Saat verhilft
Zu schwell’nder Fülle: also zeigt ihr Schoß
Sein fleißiges Bemühn und emsig Tun.
Isabella
.
Ist jemand von ihm schwanger? Muhme Julia?
Lucio
.
So, ist sie Eure Muhme?
Isabella
.
Durch Wahl: wie Schülerinnen Namen tauschen
In kindisch treuer Freundschaft.
Lucio
.
Diese ist’s.
Isabella
.
Oh, nehm’ er sie zur Frau!
Lucio
.
Das ist der Punkt: –
Der Herzog hat höchst seltsam sich entfernt;
Und manchen Edeln – (mich nebst andern) – foppt er
Mit Hoffnung auf ein Amt; doch hören wir
Von solchen, die den Nerv des Staates kennen,
Was er uns vorgab, sei unendlich weit
Von seiner wahren Absicht. Jetzt regiert
Statt seiner, mit der unbeschränkt’sten Vollmacht,
Lord Angelo, ein Mann, dem statt des Bluts
Schneewasser in den Adern fließt; der nie
Der Sinne muntre Trieb’ und Regung kannte;
Der ihren Stachel hemmt und abgestumpft
Mit geist’ger Arbeit, Fasten und Studieren.
Dieser, in Furcht zu setzen Lust und Freiheit,
Die lang’ das drohende Gesetz umschwärmt
(Wie Mäus’ um Löwen), klaubt den Spruch hervor,
Durch dessen schweren Inhalt Claudios Leben
Verwirkt ist; setzt sogleich ihn in Verhaft
Und folgt genau der Satzung totem Wort
Zu strenger Warnung. Alles ist verloren,
Wenn Euch nicht Gnade wird, durch holdes Flehn
Ihn zu erweichen. Dies nun ist der Kern
Des Auftrags, den mir Euer Bruder gab.
Isabella
.
So will er seinen Tod?
Lucio
.
Hat die Sentenz
Schon unterschrieben, und der Schließer, hör’ ich,
Erhielt Befehl, das Urteil zu vollziehn.
Isabella
.
Ach, welche arme Fähigkeit besitz’ ich,
Ihm noch zu helfen?
Lucio
.
Eure Macht versucht!
Isabella
.
Weh mir! Ich zweifle –
Lucio
.
Zweifel sind Verräter,
Die oft ein Gut entziehn, das wir erreichten, –
Weil den Versuch wir scheuten. Geht zu Angelo
Und lehrt ihn, daß, wenn Jungfrau’n flehn, die Männer
Wie Götter geben; weinen sie und knien,
Dann wird ihr Wunsch so frei ihr Eigentum,
Als ob sie selber die Gewährung sprächen.
Isabella
.
Ich will versuchen, was ich kann.
Lucio
.
Nur schnell! –
Isabella
.
Ich geh’ sogleich,
Nicht länger säum’ ich; der Äbtissin nur
Meld’ ich’s vorher. Ich dank’ Euch, Herr, in Demut;
Empfehlt mich meinem Bruder: noch vor Nacht
Send’ ich ihm sichre Nachricht des Erfolgs. –
Lucio
.
Dann nehm’ ich Abschied.
Isabella
.
Gott befohlen, Herr! –
Beide gehn.
¶
ZWEITER AUFZUG
Erste Szene
Eine Halle in Angelos Hause.
Es treten auf Angelo, Escalus, ein Richter, Schließer, Gerichtsdiener und Gefolge.
Angelo
.
Das Recht darf nicht zur Vogelscheuche werden,
Als ständ’ es da, um Habichte zu schrecken,
Und bliebe regungslos, bis sie zuletzt,
Gewöhnt, drauf ausruhn, statt zu fliehn.
Escalus
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Gut, laßt uns
Dann lieber scharf sein und ein wenig schneiden,
Als tödlich niederschlagen. Ach, der Jüngling,
Für den ich bat, hat einen edeln Vater!
Bedenkt, mein werter Herr (von dem ich weiß,
Ihr seid sehr streng in Tugend),
Ob in der Regung Eurer Leidenschaft,
Wenn, Zeit mit Ort gestimmt und Ort mit Wunsch,
Ob, wenn das heft’ge Treiben Eures Bluts
Das Ziel erreichen mochte, das Euch lockte, –
Ob, sag’ ich, Ihr nicht selbst wohl konntet irren
In diesem Punkt, den Ihr an ihm verdammt,
Und dem Gesetz verfallen? –
Angelo
.
Ein andres ist, versucht sein, Escalus,
Ein andres, fallen. Leugnen will ich nicht,
In dem Gerichte, das auf Tod erkennt,
Sei unter zwölf Geschwornen oft ein Dieb,
Wohl zwei noch schuld’ger als der Angeklagte.
Wer offenbar dem Rechte ward,
Den straft das Recht. Was kümmert’s das Gesetz,
Ob Dieb den Dieb verurteilt? ’s ist natürlich,
Daß wir den Demant auf vom Boden heben,
Weil wir ihn sehn; doch was wir nicht gesehn,
Wir treten drauf und denken nicht daran.
Ihr dürft nicht deshalb mildern sein Vergehn,
Weil ich auch fehlen konnte; sagt vielmehr,
Wenn ich, sein Richter, solch Verbrechen übe,
Sei mir der eigne Spruch Vorbild des Todes,
Und nichts entschuld’ge mich. Freund, er muß sterben. –
Escalus
.
Wie’s Eurer Weisheit
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