Sämtliche Werke
wichtigsten Kenntnisse erwerben, er wird sich notwendig machen, und lasst eine Veränderung vorgehn, so ist er Minister.
Clavigo .
Ich gestehe dir, das waren oft auch meine Träume.
Carlos .
Träume! So gewiss ich den Turm erreiche und erklettere, wenn ich darauf losgehe, mit dem festen Vorsatz, nicht abzulassen, bis ich ihn erstiegen habe, so gewiss hättest du auch alle Schwierigkeiten überwunden. Und hernach wär’ mir für das übrige nicht bang gewesen. Du hast kein Vermögen von Hause, desto besser; das hätte dich auf die Erwerbung eifriger, auf die Erhaltung aufmerksamer gemacht. Und wer am Zoll sitzt, ohne reich zu werden, ist ein Pinsel. Und dann seh’ ich nicht, warum das Land dem Minister nicht so gut Abgaben schuldig ist als dem Könige. Dieser gibt seinen Namen her und jener die Kräfte. Wenn ich denn mit allem dem fertig war, dann sah ich mich erst nach einer Partie für dich um. Ich sah manch stolzes Haus, das die Augen über deine Abkunft zugeblinkt hätte, manches der reichsten, das dir gern den Aufwand deines Standes verschafft haben würde, nur um an der Herrlichkeit des zweiten Königs teilnehmen zu dürfen – und nun –
Clavigo .
Du bist ungerecht, du setzest meinen gegenwärtigen Zustand zu tief herab. Und glaubst du denn, dass ich mich nicht weiter treiben, nicht auch noch mächtigere Schritte tun kann?
Carlos .
Lieber Freund, brich du einer Pflanze das Herz aus, sie mag hernach treiben und treiben, unzählige Nebenschösslinge; es gibt vielleicht einen starken Busch, aber der stolze königliche Wuchs des ersten Schusses ist dahin. Und denke nur nicht, dass man diese Heirat bei Hofe gleichgültig ansehen wird. Hast du vergessen, was für Männer dir den Umgang, die Verbindung mit Marien missrieten? Hast du vergessen, wer dir den klugen Gedanken eingab, sie zu verlassen? Soll ich dir sie an den Fingern herzählen?
Clavigo .
Der Gedanke hat mich auch schon gepeinigt, dass so wenige diesen Schritt billigen werden.
Carlos .
Keiner! Und deine hohen Freunde sollten nicht aufgebracht sein, dass du, ohne sie zu fragen, ohne ihren Rat, dich so geradezu hingegeben hast, wie ein unbesonnener Knabe auf dem Markte sein Geld gegen wurmstichige Nüsse wegwirft?
Clavigo .
Das ist unartig, Carlos, und übertrieben.
Carlos .
Nicht um einen Zug. Denn dass einer aus Leidenschaft einen seltsamen Streich macht, das lass’ ich gelten. Ein Kammermädchen zu heiraten, weil sie schön ist wie ein Engel! Gut, der Mensch wird getadelt, und doch beneiden ihn die Leute.
Clavigo .
Die Leute, immer die Leute.
Carlos .
Du weißt, ich frage nicht ängstlich nach andrer Beifall, doch das ist ewig wahr: Wer nichts für andre tut, tut nichts für sich, und wenn die Menschen dich nicht bewundern oder beneiden, bist du auch nicht glücklich.
Clavigo .
Die Welt urteilt nach dem Scheine. O! Wer Mariens Herz besitzt, ist zu beneiden!
Carlos .
Was die Sache ist, scheint sie auch. Aber freilich dacht’ ich, dass das verborgene Qualitäten sein müssen, die dein Glück beneidenswert machen; denn was man so mit seinen Augen sieht, mit seinem Menschenverstande begreifen kann –
Clavigo .
Du willst mich zugrunde richten.
Carlos .
„Wie ist das zugegangen?“, wird man in der Stadt fragen. „Wie ist das zugegangen?“, fragt man bei Hofe. „Um Gottes willen, wie ist das zugegangen? Sie ist arm, ohne Stand; hätte Clavigo nicht einmal ein Abenteuer mit ihr gehabt, man wüsste gar nicht, dass sie in der Welt ist. Sie soll artig sein, angenehm, witzig! – Wer wird darum eine Frau nehmen? Das vergeht so in den ersten Zeiten des Ehestands.“ – „Ach!“, sagt einer, „sie soll schön sein, reizend, ausnehmend schön.“ – „Da ist’s zu begreifen“, sagt ein anderer –
Clavigo (wird verwirrt, ihm entfährt ein tiefer Seufzer) .
Ach!
Carlos .
„Schön? O“ , sagt die eine, „es geht an!“ – „Ich hab’ sie in sechs Jahren nicht gesehen; da kann sich schon was verändern“, sagte eine andere. „Man muss doch acht geben, er wird sie bald produzieren“, sagt die dritte. Man fragt, man guckt, man geht zu Gefallen, man wartet, man ist ungeduldig, erinnert sich immer des stolzen Clavigo, der sich nie öffentlich sehen ließ, ohne eine stattliche, herrliche hochäugige Spanierin im Triumph aufzuführen, deren volle Brust, ihre blühenden Wangen, ihre heißen Augen die Welt ringsumher zu fragen schien: „Bin ich nicht meines Begleiters wert?“, und die in ihrem Übermut den seidnen
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