Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sämtliche Werke

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
Vom Netzwerk:
gerettetes Leben zu Ihren Füßen legte? Und habe ich weniger auf einem stürmischen Meere die Zeit geschwebt? Sind unsere Leidenschaften, mit denen wir in ewigem Streit leben, nicht schrecklicher und unbezwinglicher als jene Wellen, die den Unglücklichen fern von seinem Vaterland verschlagen! Marie! Marie! Wie können Sie mich hassen, da ich nie aufgehört habe, Sie zu lieben? Mitten in allem Taumel, durch allen verführerischen Gesang der Eitelkeit und des Stolzes hab’ ich mich immer jener seligen unbefangenen Tage erinnert, die ich in glücklicher Einschränkung zu Ihren Füßen zubrachte, da wir eine Reihe von blühenden Aussichten vor uns liegen sahen. – Und nun, warum wollten Sie nicht mit mir alles erfüllen, was wir hofften? Wollen Sie das Glück des Lebens nun nicht ausgenießen, weil ein düsterer Zwischenraum sich unsern Hoffnungen eingeschoben hatte? Nein, meine Liebe, glauben Sie, die besten Freuden der Welt sind nicht ganz rein; die höchste Wonne wird auch durch unsere Leidenschaften, durch das Schicksal unterbrochen. Wollen wir uns beklagen, dass es uns gegangen ist wie allen andern, und wollen wir uns strafbar machen, indem wir diese Gelegenheit von uns stoßen, das Vergangene herzustellen, eine zerrüttete Familie wieder aufzurichten, die heldenmütige Tat eines edeln Bruders zu belohnen und unser eigen Glück auf ewig zu befestigen? – Meine Freunde, um die ich’s nicht verdient habe, meine Freunde, die es sein müssen, weil sie Freunde der Tugend sind, zu der ich rückkehre, verbinden sie ihr Flehen mit dem meinigen. Marie! (Er wirft sich nieder.) Marie! Kennst du meine Stimme nicht mehr? Vernimmst du nicht mehr den ton meines Herzens? Marie! Marie!
    Marie .
    O Clavigo!
    Clavigo (springt auf und fasst ihre Hand mit entzückten Küssen) .
    Sie vergibt mir, sie liebt mich! (Umarmt den Guilbert, den Buenco.) Sie liebt mich noch! O Marie, mein Herz sagt mir’s! Ich hätte mich zu deinen Füßen werfen, stumm meinen Schmerz, meine Reue ausweinen wollen; du hättest mich ohne Worte verstanden, wie ich ohne Worte meine Vergebung erhalte. Nein, diese innige Verwandtschaft unserer Seelen ist nicht aufgehoben; nein, sie vernehmen einander noch wie ehemals, wo kein Laut, kein Wink nötig war, um die innersten Bewegungen sich mitzuteilen. Marie – Marie – Marie. –
    Beaumarchais tritt auf.
    Beaumarchais .
    Ha!
    Clavigo (ihm entgegenfliegend) .
    Mein Bruder!
    Beaumarchais .
    Du vergibst ihm?
    Marie .
    Lasst, lasst mich! Meine Sinne vergehen.
    (Man führt sie weg.)
    Beaumarchais .
    Sie hat ihm vergeben?
    Buenco .
    Es sieht so aus.
    Beaumarchais .
    Du verdienst dein Glück nicht.
    Clavigo .
    Glaube, dass ich’s fühle.
    Sophie (kommt zurück) .
    Sie vergibt ihm. Ein Storm von Tränen brach aus ihren Augen. „Er soll sich entfernen“, rief sie schluchzend, „dass ich mich erhole! Ich vergeb’ ihm. – Ach, Schwester!“, rief sie und fiel mir um den Hals, „woher weiß er, dass ich ihn so liebe?“
    Clavigo (ihr die Hand küssend) .
    Ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne. Mein Bruder!
    Beaumarchais (umarmt ihn) .
    Von Herzen denn. Ob ich Euch schon sagen muss: Noch kann ich Euer Freund nicht sein, noch kann ich Euch nicht lieben. Und somit seid Ihr der Unsrige, und vergessen sei alles! Das Papier, das Ihr mir gabt, hier ist’s.
    (Er nimmt’s aus der Brieftasche, zerreißt es und gibt’s ihm hin.)
    Clavigo .
    Ich bin der Eurige, ewig der Eurige.
    Sophie .
    Ich bitte, entfernt Euch, dass sie Eure Stimme nicht hört, dass sie sich beruhigt.
    Clavigo (sie rings umarmend) .
    Lebt wohl! Lebt wohl! – Tausend Küsse dem Engel. (Ab.)
    Beaumarchais .
    Es mag denn gut sein, ob ich gleich wünschte, es wäre anders. (Lächelnd.) Es ist doch ein gutherziges Geschöpf, so ein Mädchen – Und, meine Freunde, auch muss ich’s sagen: Es war ganz der Gedanke, der Wunsch unsers Gesandten, dass ihm Marie vergeben, und dass eine glückliche Heirat diese verdrießliche Geschichte endigen möge.
    Guilbert .
    Mir ist auch wieder ganz wohl.
    Buenco .
    Er ist euer Schwager, und so adieu! Ihr seht mich in eurem Hause nicht wieder.
    Beaumarchais .
    Mein Herr!
    Guilbert .
    Buenco!
    Buenco .
    Ich hass’ ihn nun einmal bis ans jüngste Gericht. Und gebt Acht, mit was für einem Menschen ihr zu tun habt. (Ab.)
    Guilbert .
    Er ist ein melancholischer Unglücksvogel. Und mit der Zeit lässt er sich doch wieder bereden, wenn er sieht, es geht alles gut.
    Beaumarchais .
    Doch war’s übereilt, dass ich ihm das

Weitere Kostenlose Bücher