Sämtliche Werke
Petschaft einer schönen Dame. Guizot mag immerhin, wie man behauptet, von puritanischem Charakter sein, aber er begreift auch Andersfühlende und Andersdenkende. Sein Geist ist auch nicht poesiefeindlich eng und dumpf: dieser Puritaner war es, welcher den Franzosen eine Übersetzung des Shakespeare gab, und als ich vor mehren Jahren über den britischen Dichterkönig schrieb, wußte ich den Zauber seiner phantastischen Komödien nicht besser zu erörtern, als indem ich den Kommentar jenes Puritaners, des Stutzkopfs Guizot, wörtlich mitteilte.
Sonderbar! das kriegerische Ministerium vom 1. März, das jenseits des Rheines so verschrien ward, bestand zum größten Teil aus Männern, welche Deutschland mit dem treuesten Eifer verehrten und liebten. Neben jenem Victor Cousin, welcher begriffen, daß bei Immanuel Kant die beste Kritik der reinen Vernunft und bei Marquis die beste Schokolade zu finden, saß damals im Ministerrate Hr. v. Rémusat, der ebenfalls dem deutschen Genius huldigte und ihm ein besonderes Studium widmete. Schon in seiner Jugend übersetzte er mehrere deutsche dramatische Dichtungen, die er im »Théâtre étranger« abdrucken ließ. Dieser Mann ist ebenso geistreich wie ehrlich, er kennt die Gipfel und die Tiefen des deutschen Volkes, und ich bin überzeugt, er hat von dessen Herrlichkeit einen höhern Begriff als sämtliche Komponisten des Beckerschen Lieds, wo nicht gar als der große Niklas Becker selbst! – Was uns in der jüngsten Zeit besonders gut an Rémusat gefiel, war die unumwundene Weise, womit er den guten Leumund eines edlen Waffenbruders gegen verleumderische Insinuationen verteidigte.
XXXVI
Paris, 22. Mai 1841
Die Engländer hier schneiden sehr besorgliche Gesichter. »Es geht schlecht, es geht schlecht«, das sind die ängstlichen Zischlaute, die sie einander zuflüstern, wenn sie sich bei Galignani begegnen. Es hat in der Tat den Anschein, als wackle der ganze großbritannische Staat und sei dem Umsturz nahe, aber es hat nur den Anschein. Dieser Staat gleicht dem Glockenturm von Pisa: seine schiefe Stellung ängstigt uns, wenn wir hinaufblicken, und der Reisende eilt mit rascheren Schritten über den Domhof, fürchtend, der große Turm machte ihm unversehens auf den Kopf fallen. Als ich zur Zeit Cannings in London war und den wilden Meetings des Radikalismus beiwohnte, glaubte ich, der ganze Staatsbau stürze jetzt zusammen. Meine Freunde, welche England während der Aufregung der Reformbill besuchten, wurden dort von demselben Angstgefühl ergriffen. Andere, die dem Schauspiel der O’Connellschen Umtriebe und des katholischen Emanzipationslärms beiwohnten, empfanden ähnliche Beängstigung. Jetzt sind es die Korngesetze, welche einen so bedrohlichen Staatsuntergangssturm veranlassen – aber fürchte dich nicht, Sohn Albions:
Kracht’s auch, bricht’s doch nicht,
Bricht’s auch, bricht’s nicht mit dir!
Hier zu Paris herrscht in diesem Augenblick große Stille. Man wird es nachgerade müde, beständig von den falschen Briefen des Königs zu sprechen, und eine erfrischende Diversion gewährte uns die Entführung der spanischen Infantin durch Ignaz Gurowski, einen Bruder jenes famosen Adam Gurowski, dessen Sie sich vielleicht noch erinnern. Vorigen Sommer war Freund Ignaz in Mademoiselle Rachel verliebt; da ihm aber der Vater derselben, der von sehr guter jüdischer Familie ist, seine Tochter verweigerte, so machte er sich an die Prinzessin Isabella Fernanda von Spanien. Alle Hofdamen beider Kastilien, ja des ganzen Universums, werden die Hände vor Entsetzen über den Kopf zusammenschlagen: jetzt begreifen sie endlich, daß die alte Welt des traditionellen Respektes ein Ende hat!
XXXVII
Paris, 11. Dezember 1841
Jetzt, wo das Neujahr herannaht, der Tag der Geschenke, überbieten sich hier die Kaufmannsläden in den mannigfaltigsten Ausstellungen. Der Anblick derselben kann dem müßigen Flaneur den angenehmsten Zeitvertreib gewähren; ist sein Hirn nicht ganz leer, so steigen ihm auch manchmal Gedanken auf, wenn er hinter den blanken Spiegelfenstern die bunte Fülle der ausgestellten Luxus- und Kunstsachen betrachtet und vielleicht auch einen Blick wirft auf das Publikum, das dort neben ihm steht. Die Gesichter dieses Publikums sind so häßlich ernsthaft und leidend, so ungeduldig und drohend, daß sie einen unheimlichen Kontrast bilden mit den Gegenständen, die sie begaffen, und uns die Angst anwandelt, diese Menschen möchten einmal mit ihren geballten Fäusten
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