Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
Vom Netzwerk:
in der Vergangenheit eine verjüngende Quelle suchte, lechzend nach frischem Lebenstrank? Ich weiß nicht, aber jene Zeit Franz’ I. und seiner Geschmacksgenossen übt auf unser Gemüt einen fast schauerlichen Zauber, wie Erinnerung von Zuständen, die wir im Traum durchlebt; und dann liegt ein ungemein origineller Reiz in der Art und Weise, wie jene Zeit das wiedergefundene Altertum in sich zu verarbeiten wußte. Hier sehen wir nicht, wie in der Davidschen Schule, eine akademisch trockene Nachahmung der griechischen Plastik, sondern eine flüssige Verschmelzung derselben mit dem christlichen Spiritualismus. In den Kunst- und Lebensgestaltungen, die der Vermählung jener heterogensten Elemente ihr abenteuerliches Dasein verdankten, liegt ein so süßer melancholischer Witz, ein so ironischer Versöhnungskuß, ein blühender Übermut, ein elegantes Grauen, das uns unheimlich bezwingt, wir wissen nicht wie.
    Doch wie wir heute die Politik den Kannegießern von Profession überlassen, so überlassen wir den patentierten Historikern die genauere Nachforschung, in welchem Grad unsere Zeit mit der Zeit der Renaissance verwandt ist; und als echte Flaneurs wollen wir auf dem Boulevard Montmartre vor einem Bilde stehenbleiben, das dort die Herren Goupil und Rittner ausgestellt haben und das gleichsam als der Kupferstichlöwe der Saison alle Blicke auf sich zieht. Es verdient in der Tat diese allgemeine Aufmerksamkeit: es sind »Die Fischer« von Léopold Robert, die dieser Kupferstich darstellt. Seit Jahr und Tag erwartete man denselben, und er ist gewiß eine köstliche Weihnachtsgabe für das große Publikum, dem das Originalbild unbekannt geblieben. Ich enthalte mich aller detaillierten Beschreibung dieses Werks, da es in kurzem ebenso bekannt sein wird wie die »Schnitter« desselben Malers, wozu es ein sinnreiches und anmutiges Seitenstück bildet. Wie dieses berühmte Bild eine sommerliche Kampagne darstellt, wo römische Landleute gleichsam auf einem Siegeswagen mit ihrem Erntesegen heimziehen, so sehen wir hier, auf dem letzten Bild von Robert, als schneidendsten Gegensatz, den kleinen winterlichen Hafen von Chioggia und arme Fischerleute, die, um ihr kärgliches Tagesbrot zu gewinnen, trotz Wind und Wetter sich eben anschicken zu einer Ausfahrt ins Adriatische Meer. Weib und Kind und die alte Großmutter schauen ihnen nach mit schmerzlicher Resignation – gar rührende Gestalten, bei deren Anblick allerlei polizeiwidrige Gedanken in unserm Herzen laut werden. Diese unseligen Menschen, die Leibeigenen der Armut, sind zu lebenslänglicher Mühsal verdammt und verkümmern in harter Not und Betrübnis. Ein melancholischer Fluch ist hier gemalt, und der Maler, sobald er das Gemälde vollendet hatte, schnitt er sich die Kehle ab. Armes Volk! armer Robert! – Ja, wie die »Schnitter« dieses Meisters ein Werk der Freude sind, das er im römischen Sonnenlicht der Liebe empfangen und ausgeführt hat, so spiegeln sich in seinen »Fischern« alle die Selbstmordgedanken und Herbstnebel, die sich, während er in der zerstörten Venezia hauste, über seine Seele lagerten. Wie uns jenes erstere Bild befriedigt und entzückt, so erfüllt uns dieses letztere mit empörungssüchtigem Unmut: dort malte Robert das Glück der Menschheit, hier malte er das Elend des Volks.
    Ich werde nie den Tag vergessen, wo ich das Originalgemälde, »Die Fischer« von Robert, zum ersten Male sah. Wie ein Blitzstrahl aus unumwölktem Himmel hatte uns plötzlich die Nachricht seines Todes getroffen, und da jenes Bild, welches gleichzeitig anlangte, nicht mehr im bereits eröffneten Salon ausgestellt werden konnte, faßte der Eigentümer, Herr Paturle, den löblichen Gedanken, eine besondere Ausstellung desselben zum Besten der Armen zu veranstalten. Der Maire des zweiten Arrondissements gab dazu sein Lokal, und die Einnahme, wenn ich nicht irre, betrug über sechzehntausend Franken. (Mögen die Werke aller Volksfreunde so praktisch nach ihrem Tode fortwirken!) Ich erinnere mich, als ich die Treppe der Mairie hinaufstieg, um zu dem Expositionszimmer zu gelangen, las ich auf einer Nebentüre die Aufschrift: Bureau des décès. Dort im Saale standen sehr viele Menschen vor dem Bilde versammelt, keiner sprach, es herrschte eine ängstliche, dumpfe Stille, als läge hinter der Leinwand der blutige Leichnam des toten Malers. Was war der Grund, weshalb er sich eigenhändig den Tod gab, eine Tat, die im Widerspruch war mit den Gesetzen der Religion, der Moral

Weitere Kostenlose Bücher