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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Offenbarungen des Genius, der, eben wie die Natur, schon in den bloßen Umrissen das Vollendete gibt.«
    Ich will mein Urteil über die Robertschen »Fischer« resümieren: es fehlt ihnen die Einheit, und nur die Einzelnheiten, namentlich das junge Weib mit dem kranken Kinde, verdienen das höchste Lob. Zur Unterstützung meines Urteils berufe ich mich auf die Skizze, worin Robert gleichsam seinen ersten Gedanken ausgesprochen: hier, in der ursprünglichen Konzeption, herrscht jene Harmonie, die dem ausgeführten Bilde fehlt, und wenn man sie mit diesem vergleicht, merkt man gewiß, wie der Maler seinen Geist lange Zeit gezerrt und abgemüdet haben muß, ehe er das Gemälde in seiner jetzigen Gestalt zustande brachte.
XXXVIII
    Paris, den 19. Dezember 1841
    Wird sich Guizot halten? Heiliger Gott, hierzuland hält sich niemand auf die Länge, alles wackelt, sogar der Obelisk von Luxor! Das ist keine Hyperbel, sondern buchstäbliche Wahrheit; schon seit mehren Monaten geht hier die Rede, der Obelisk stehe nicht fest auf seinem Postament, er schwanke zuweilen hin und her, und eines frühen Morgens werde er den Leuten, die eben vorüberwandeln, auf die Köpfe purzeln. Die Ängstlichen suchen schon jetzt, wenn ihr Weg sie über die Place Louis-Quinze führt, sich etwas entfernt zu halten von der fallenden Größe. Die Mutigern lassen sich freilich nicht in ihrem gewöhnlichen Gange stören, weichen keinen Fingerbreit, können aber doch nicht umhin, im Vorübergehen ein bißchen hinaufzuschielen, ob der große Stein wirklich nicht wackelmütig geworden. Wie dem auch sei, es ist immer schlimm, wenn das Publikum Zweifel hegt über die Festigkeit der Dinge; mit dem Glauben an ihre Dauer schwindet schon ihre beste Stütze. Wird er sich halten? Jedenfalls glaub ich, daß er sich die nächste Sitzung hindurch halten wird, sowohl der Obelisk als Guizot, der mit jenem eine gewisse Ähnlichkeit hat, z.B. die, daß er ebenfalls nicht auf seinem rechten Platze steht. Ja, sie stehen beide nicht auf ihrem rechten Platz, sie sind herausgerissen aus ihrem Zusammenhang, ungestüm verpflanzt in eine unpassende Nachbarschaft. Jener, der Obelisk, stand einst vor den lotosknäufigen Riesensäulen am Eingang des Tempels von Luxor, welcher wie ein kolossaler Sarg aussieht und die ausgestorbene Weisheit der Vorwelt, getrocknete Königsleichen, einbalsamierten Tod enthält. Neben ihm stand ein Zwillingsbruder von demselben roten Granit und derselben pyramidalischen Gestalt, und ehe man zu diesen beiden gelangte, schritt man durch zwei Reihen Sphinxe, stumme Rätseltiere, Bestien mit Menschenköpfen, ägyptische Doktrinäre. In der Tat, solche Umgebung war für den Obelisken weit geeigneter als die, welche ihm auf der Place Louis-Quinze zuteil ward, dem modernsten Platz der Welt, dem Platz, wo eigentlich die moderne Zeit angefangen und von der Vergangenheit gewaltsam abgeschnitten wurde mit frevelhaftem Beil. – Zittert und wackelt vielleicht wirklich der große Obelisk, weil es ihm graut, sich auf solchem gottlosen Boden zu befinden, er, der gleichsam ein steinerner Schweizer in Hieroglyphenlivree jahrtausendelang Wache hielt vor den heiligen Pforten der Pharaonengräber und des absoluten Mumientums? Jedenfalls steht er dort sehr isoliert, fast komisch isoliert, unter lauter theatralischen Architekturen der Neuzeit, Bildwerken im Rokokogeschmack, Springbrunnen mit vergoldeten Najaden, allegorischen Statuen der französischen Flüsse, deren Piedestal eine Portierloge enthält, in der Mitte zwischen dem Arc de triomphe, den Tuilerien und der Chambre des députés – ungefähr wie der sazerdotal tiefsinnige, ägyptisch steife und schweigsame Guizot zwischen dem imperialistisch rohen Soult, dem merkantilisch flachköpfigen Human und dem hohlen Schwätzer Villemain, der halb voltairisch und halb katholisch angestrichen ist und in jedem Fall einen Strich zuviel hat.
    Doch laßt uns Guizot beiseite setzen und nur von dem Obelisken reden: es ist ganz wahr, daß man von seinem baldigen Sturze spricht. Es heißt: im stillen Sonnenbrand am Nil, in seiner heimatlichen Ruhe und Einsamkeit, hätte er noch Jahrtausende aufrecht stehenbleiben können, aber hier in Paris agitierte ihn der beständige Wetterwechsel, die fieberhaft aufreibende, anarchische Atmosphäre, der unaufhörlich wehende feuchtkalte Kleinwind, welcher die Gesundheit weit mehr angreift als der glühende Samum der Wüste; kurz, die Pariser Luft bekomme ihm schlecht. Der eigentliche Rival des

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