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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Obelisken von Luxor ist noch immer die Colonne Vendôme. Steht sie sicher? Ich weiß nicht, aber sie steht auf ihrem rechten Platze, in Harmonie mit ihrer Umgebung. Sie wurzelt treu im nationalen Boden, und wer sich daran hält, hat eine feste Stütze. Eine ganz feste? Nein, hier in Frankreich steht nichts ganz fest. Schon einmal hat der Sturm das Kapital, den eisernen Kapitalmann, von der Spitze der Vendômesäule herabgerissen, und im Fall die Kommunisten ans Regiment kämen, dürfte wohl zum zweiten Male dasselbe sich ereignen, wenn nicht gar die radikale Gleichheitsraserei die Säule selbst zu Boden reißt, damit auch dieses Denkmal und Sinnbild der Ruhmsucht von der Erde schwinde: kein Mensch und kein Menschenwerk soll über ein bestimmtes Kommunalmaß hervorragen, und der Baukunst ebensogut wie der epischen Poesie droht der Untergang. »Wozu noch ein Monument für ehrgeizige Völkermörder«, hörte ich jüngst ausrufen bei Gelegenheit des Modellkonkurses für das Mausoleum des Kaisers, »das kostet das Geld des darbenden Volkes, und wir werden es ja doch zerschlagen, wenn der Tag kommt!« Ja, der tote Held hätte in St. Helena bleiben sollen, und ich will ihm nicht dafür stehen, daß nicht einst sein Grabmal zertrümmert und seine Leiche in den schönen Fluß geschmissen wird, an dessen Ufern er so sentimental ruhen sollte, nämlich in die Seine! Thiers hat ihm als Minister vielleicht keinen großen Dienst geleistet.
    Wahrlich, er leistet dem Kaiser einen größern Dienst als Historiker, und ein solideres Monument als die Vendômesäule und das projektierte Grabmal errichtet ihm Thiers durch das große Geschichtsbuch, woran er beständig arbeitet, wie sehr ihn auch die politischen Tageswehen in Anspruch nehmen. Nur Thiers hat das Zeug dazu, die große Historie des Napoleon Bonaparte zu schreiben, und er wird sie besser schreiben als diejenigen, die sich dazu besonders berufen glauben, weil sie treue Gefährten des Kaisers waren und sogar beständig mit seiner Person in Berührung standen. Die persönlichen Bekannten eines großen Helden, seine Mitkämpfer, seine Leibdiener, seine Kämmerer, Sekretäre, Adjutanten, vielleicht seine Zeitgenossen überhaupt, sind am wenigsten geeignet, seine Geschichte zu schreiben; sie kommen mir manchmal vor wie das kleine Insekt, das auf dem Kopf eines Menschen herumkriecht, ganz eigentlich in der unmittelbarsten Nähe seiner Gedanken verweilt, ihn überall begleitet und doch nie von seinem wahren Leben und der Bedeutung seiner Handlungen das mindeste ahnte.
    Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit auf einen Kupferstich aufmerksam zu machen, der in diesem Augenblick bei allen Kunsthändlern ausgehängt ist und den Kaiser darstellt nach einem Gemälde von Delaroche, welches derselbe für Lady Sandwich gemalt hat. Der Maler verfuhr bei diesem Bilde (wie in allen seinen Werken) als Eklektiker, und zur Anfertigung desselben benutzte er zunächst mehre unbekannte Porträte, die sich im Besitz der Bonapartischen Familie befinden, sodann die Maske des Toten, ferner die Details, die ihm über die Eigentümlichkeiten des kaiserlichen Gesichts von einigen Damen mitgeteilt worden, und endlich seine eignen Erinnerungen, da er in seiner Jugend mehrmals den Kaiser gesehen. Mein Urteil über dieses Bild kann ich hier nicht mitteilen, da ich zugleich über die Art und Weise des Delaroche ausführlich reden müßte. Die Hauptsache habe ich bereits angedeutet: das eklektische Verfahren, welches eine gewisse äußere Wahrheit befördert, aber keinen tiefern Grundgedanken aufkommen läßt. – Dieses neue Porträt des Kaisers ist bei Goupil und Rittner erschienen, die fast alle bekannten Werke des Delaroche in Kupferstich herausgegeben. Sie gaben uns jüngst seinen Karl I., welcher im Kerker von den Soldaten und Schergen verhöhnt wird, und als Seitenstück erhielten wir im selben Format den Grafen Stafford, welcher, zur Richtstätte geführt, dem Gefängnisse vorbeikommt, wo der Bischof Law gefangensitzt und dem vorüberziehenden Grafen seinen Segen erteilt, wir sehen nur seine aus einem Gitterfenster hervorgestreckten zwei Hände, die wie hölzerne Wegweiser aussehen, recht prosaisch abgeschmackt. In derselben Kunsthandlung erschien auch des Delaroche großes Kabinettstück: der sterbende Richelieu, welcher mit seinen beiden Schlachtopfern, den zum Tode verurteilten Rittern Saint-Mars und de Thou, in einem Boote die Rhône hinabfährt. Die beiden Königskinder, die Richard III. im Tower

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