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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Thiers, und noch weniger hat er die Ecken eines Schulmanns, wie Herr Guizot, und bei der Aristokratie der fremden Höfe mag er durch eine solche äußere Repräsentation und diplomatische Leichtigkeit die Genialität ersetzen, welche wir bei Herrn Thiers und Guizot finden. Er hat kein andres System als das des Königs, ist auch zu sehr Hofmann, um ein andres haben zu wollen, und das weiß der König, und er ist der Minister nach dem Herzen Ludwig Philipps. Ihr werdet sehen, jedesmal, wenn man ihm die Wahl lassen wird, Herrn Guizot oder Herrn Thiers zum Premierminister zu nehmen, wird Ludwig Philipp immer wehmütig antworten: »Laßt mich Molé nehmen.« Molé, das ist er selber, und da doch einmal geschieht, was er will, so wäre es gar kein Unglück, wenn Molé wieder Minister würde.
    Aber ein Glück wäre es auch nicht, denn das königliche System würde nach wie vor in Wirksamkeit bleiben, und wie sehr wir die edle Absicht des Königs hochschätzen, wie sehr wir ihm den besten Willen für das Glück Frankreichs zutrauen, so müssen wir doch bekennen, daß die Mittel zur Ausführung nicht die richtigen sind, daß das ganze System keinen Schuß Pulver taugt, wenn es nicht gar einst durch einen Schuß Pulver in die Luft springt. Ludwig Philipp will Frankreich regieren durch die Kammer, und er glaubt alles gewonnen zu haben, wenn er durch Begünstigung ihrer Glieder bei allen Regierungsvorschlägen die parlamentarische Majorität gewonnen. Aber sein Irrtum besteht darin, daß er Frankreich durch die Kammer repräsentiert glaubt. Dieses aber ist nicht der Fall, und er verkennt ganz die Interessen eines Volks, welche von denen der Kammer sehr verschieden sind und von letzterer nicht sonderlich beachtet werden. Steigt seine Impopularität bis zu einem bedenklichen Punkte, so wird ihn schwerlich die Kammer retten können, und es ist noch die Frage, ob jene begünstigte Bourgeoisie, für die er soviel tut, ihm im gefährlichen Augenblicke mit Enthusiasmus zu Hülfe eilen wird.
    »Unser Unglück ist«, sagte mir jüngst ein Habitué der Tuilerien, »daß unsre Gegner, indem sie uns schwächer glauben, als wir sind, uns nicht fürchten und daß unsre Freunde, die zuweilen schmollen, uns eine größere Stärke zumuten, als wir in der Wirklichkeit besitzen.«
LV
    Paris, 20. März 1843
    Die Langeweile, welche die klassische Tragödie der Franzosen ausdünstet, hat niemand besser begriffen als jene gute Bürgersfrau unter Ludwig XV., die zu ihren Kindern sagte: »Beneidet nicht den Adel und verzeiht ihm seinen Hochmut, er muß ja doch als Strafe des Himmels jeden Abend im Théâtre Français sich zu Tode langweilen.« Das alte Regime hat aufgehört, und das Zepter ist in die Hände der Bourgeoisie geraten; aber diese neuen Herrscher müssen ebenfalls sehr viele Sünden abzubüßen haben, und der Unmut der Götter trifft sie noch unleidlicher als ihre Vorgänger im Reiche: denn nicht bloß, daß ihnen Mademoiselle Rachel die moderige Hefe des antiken Schlaftrunks jeden Abend kredenzt, müssen sie jetzt sogar den Abhub unsrer romantischen Küche, versifiziertes Sauerkraut, »Die Burggrafen« von Victor Hugo, verschlucken! Ich will kein Wort verlieren über den Wert dieses unverdaulichen Machwerks, das mit allen möglichen Prätensionen auftritt, namentlich mit historischen, obgleich alles Wissen Victor Hugos über Zeit und Ort, wo sein Stück spielt, lediglich aus der französischen Übersetzung von Schreibers »Handbuch für Rheinreisende« geschöpft ist. Hat der Mann, der vor einem Jahr in öffentlicher Akademie zu sagen wagte, daß es mit dem deutschen Genius ein Ende habe (la pensée allemande est rentrée dans l’ombre), hat dieser größte Adler der Dichtkunst diesmal wirklich die Zeitgenossenschaft so allmächtig überflügelt? Wahrlich keineswegs. Sein Werk zeugt weder von poetischer Fülle noch Harmonie, weder von Begeisterung noch Geistesfreiheit, es enthält keinen Funken Genialität, sondern nichts als gespreizte Unnatur und bunte Deklamation. Eckige Holzfiguren, überladen mit geschmacklosem Flitterstaat, bewegt durch sichtbare Drähte, ein unheimliches Puppenspiel, eine grasse, krampfhafte Nachäffung des Lebens; durch und durch erlogene Leidenschaft. Nichts ist mir fataler als diese Hugosche Leidenschaft, die sich so glühend gebärdet, äußerlich so prächtig auflodert und doch inwendig so armselig nüchtern und frostig ist. Diese kalte Passion, die uns in so flammenden Redensarten aufgetischt wird, erinnert

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