Sämtliche Werke
mich immer an das gebratene Eis, das die Chinesen so künstlich zu bereiten wissen, indem sie kleine Stückchen Gefrorenes, eingewickelt in einen dünnen Teig, einige Minuten übers Feuer halten: ein antithetischer Leckerbissen, den man schnell verschlucken muß und wobei man Lippe und Zunge verbrennt, den Magen aber erkältet.
Aber die herrschende Bourgeoisie muß ihrer Sünden wegen nicht bloß alte klassische Tragödien und Trilogien, die nicht klassisch sind, ausstehen, sondern die himmlischen Mächte haben ihr einen noch schauderhaftern Kunstgenuß beschert, nämlich jenes Pianoforte, dem man jetzt nirgends mehr ausweichen kann, das man in allen Häusern erklingen hört, in jeder Gesellschaft, Tag und Nacht. Ja, Pianoforte heißt das Marterinstrument, womit die jetzige vornehme Gesellschaft noch ganz besonders torquiert und gezüchtigt wird für alle ihre Usurpationen. Wenn nur nicht der Unschuldige mit leiden müßte! Diese ewige Klavierspielerei ist nicht mehr zu ertragen! (Ach! meine Wandnachbarinnen, junge Töchter Albions, spielen in diesem Augenblick ein brillantes Morceau für zwei linke Hände.) Diese grellen Klimpertöne ohne natürliches Verhallen, diese herzlosen Schwirrklänge, dieses erzprosaische Schollern und Pickern, dieses Fortepiano tötet all unser Denken und Fühlen, und wir werden dumm, abgestumpft, blödsinnig. Dieses Überhandnehmen des Klavierspielens und gar die Triumphzüge der Klaviervirtuosen sind charakteristisch für unsere Zeit und zeugen ganz eigentlich von dem Sieg des Maschinenwesens über den Geist. Die technische Fertigkeit, die Präzision eines Automaten, das Identifizieren mit dem besaiteten Holze, die tönende Instrumentwerdung des Menschen wird jetzt als das Höchste gepriesen und gefeiert. Wie Heuschreckenscharen kommen die Klaviervirtuosen jeden Winter nach Paris, weniger, um Geld zu erwerben, als vielmehr, um sich hier einen Namen zu machen, der ihnen in andern Ländern desto reichlicher eine pekuniäre Ernte verschafft. Paris dient ihnen als eine Art Annoncenpfahl, wo ihr Ruhm in kolossalen Lettern zu lesen. Ich sage, ihr Ruhm ist hier zu lesen, denn es ist die Pariser Presse, welche ihn der gläubigen Welt verkündet, und jene Virtuosen verstehen sich mit der größten Virtuosität auf die Ausbeutung der Journale und der Journalisten. Sie wissen auch dem Harthörigsten schon beizukommen, denn Menschen sind immer Menschen, sind empfänglich für Schmeichelei, spielen auch gern eine Protektorrolle, und eine Hand wäscht die andere; die unreinere ist aber selten die des Journalisten, und selbst der feile Lobhudler ist zugleich ein betrogener Tropf, den man zur Hälfte mit Liebkosungen bezahlt. Man spricht von der Käuflichkeit der Presse; man irrt sich sehr. Im Gegenteil, die Presse ist gewöhnlich düpiert, und dies gilt ganz besonders in Beziehung auf die berühmten Virtuosen. Berühmt sind sie eigentlich alle, nämlich in den Reklamen, die sie höchstselbst oder durch einen Bruder oder durch ihre Frau Mutter zum Druck befördern. Es ist kaum glaublich, wie demütig sie in den Zeitungsbureaux um die geringste Lobspende betteln, wie sie sich krümmen und winden. Als ich noch bei dem Direktor der »Gazette musicale« in großer Gunst stand – (ach! ich habe sie durch jugendlichen Leichtsinn verscherzt) –, konnte ich so recht mit eignen Augen ansehen, wie ihm jene Berühmten untertänig zu Füßen lagen und vor ihm krochen und wedelten, um in seinem Journale ein bißchen gelobt zu werden; und von unsern hochgefeierten Virtuosen, die wie siegreiche Fürsten in allen Hauptstädten Europas sich huldigen lassen, könnte man wohl in Bérangers Weise sagen, daß auf ihren Lorbeerkronen noch der Staub von Moritz Schlesingers Stiefeln sichtbar ist. Wie diese Leute auf unsre Leichtgläubigkeit spekulieren, davon hat man keinen Begriff, wenn man nicht hier an Ort und Stelle die Betriebsamkeit ansieht. In den Bureaux der erwähnten musikalischen Zeitung begegnete ich einmal einem zerlumpten alten Mann, der sich als den Vater eines berühmten Virtuosen ankündigte und die Redaktoren des Journals bat, eine Reklame abzudrucken, worin einige edle Züge aus dem Kunstleben seines Sohnes zur Kenntnis des Publikums gebracht wurden. Der Berühmte hatte nämlich irgendwo in Südfrankreich mit kolossalem Beifall ein Konzert gegeben und mit dem Ertrag eine den Einsturz drohende altgotische Kirche unterstützt; ein andermal hatte er für eine überschwemmte Witwe gespielt oder auch für
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