Sämtliche Werke
letzterer ist ein Mensch, der wirklich lebt; ich sage Mensch, obgleich ein Zoologe ihm einen geschwänzteren Namen erteilen würde. Herr Pixis kam nach Paris schon zur Zeit der Invasion, in dem Augenblick, wo der Belvederische Apoll den Römern wieder ausgeliefert wurde und Paris verlassen mußte. Die Akquisition des Herrn Pixis sollte den Franzosen einigen Ersatz bieten. Er spielte Klavier, komponierte auch sehr niedlich, und seine musikalischen Stückchen wurden ganz besonders geschätzt von den Vogelhändlern, welche Kanarienvögel auf Drehorgeln zum Gesange abrichten. Diesen gelben Dingern brauchte man eine Komposition des Herrn Pixis nur einmal vorzuleiern, und sie begriffen sie auf der Stelle und zwitscherten sie nach, daß es eine Freude war und jedermann applaudierte: »Pixissime!« Seitdem die ältern Bourbonen vom Schauplatz abgetreten, wird nicht mehr »Pixissime« gerufen; die neuen Sangvögel verlangen neue Melodien. Durch seine äußere Erscheinung, die physische, macht sich Herr Pixis noch einigermaßen geltend; er hat nämlich die größte Nase in der musikalischen Welt, und um diese Spezialität recht auffallend bemerkbar zu machen, zeigt er sich oft in Gesellschaft eines Romanzenkomponisten, der gar keine Nase hat und deswegen jüngst den Orden der Ehrenlegion erhalten hat, denn gewiß nicht seiner Musik wegen ist Herr Panseron solchermaßen dekoriert worden. Man sagt, daß derselbe auch zum Direktor der Großen Oper ernannt werden solle, weil er nämlich der einzige Mensch sei, von dem nicht zu befürchten stehe, daß ihn der Maestro Giacomo Meyerbeer an der Nase herumziehen werde.
Herr Herz gehört wie Kalkbrenner und Pixis zu den Mumien; er glänzt nur noch durch seinen schönen Konzertsaal, er ist längst tot und hat kürzlich auch geheiratet. Zu den hier ansässigen Klavierspielern, die jetzt am meisten Glück machen, gehören Halle und Eduard Wolff; doch nur von letzterm wollen wir besonders Notiz nehmen, da er sich zugleich als Komponist auszeichnet. Eduard Wolff ist fruchtbar und voller Verve. Stephan Heller ist mehr Komponist als Virtuose, obgleich er auch wegen seines Klavierspiels sehr geehrt wird. Seine musikalischen Erzeugnisse tragen alle den Stempel eines ausgezeichneten Talentes, und er gehört schon jetzt zu den großen Meistern. Er ist ein wahrer Künstler, ohne Affektation, ohne Übertreibung; romantischer Sinn in klassischer Form. Thalberg ist schon seit zwei Monaten in Paris, will aber selbst kein Konzert geben; nur im Konzerte eines seiner Freunde wird er diese Woche öffentlich spielen. Dieser Künstler unterscheidet sich vorteilhaft von seinen Klavierkollegen, ich möchte fast sagen durch sein musikalisches Betragen. Wie im Leben, so auch in seiner Kunst bekundet Thalberg den angebornen Takt, sein Vortrag ist so gentlemanlike, so wohlhabend, so anständig, so ganz ohne Grimasse, so ganz ohne forciertes Genialtun, so ganz ohne jene renommierende Bengelei, welche die innere Verzagnis schlecht verhehlt. Die gesunden Weiber lieben ihn. Die kränklichen Frauen sind ihm nicht minder hold, obgleich er nicht durch epileptische Anfälle auf dem Klavier ihr Mitleid in Anspruch nimmt, obgleich er nicht auf ihre überreizt zarten Nerven spekuliert, obgleich er sie weder elektrisiert noch galvanisiert; negative, aber schöne Eigenschaften. Es gibt nur einen, den ich ihm vorzöge, das ist Chopin, der aber viel mehr Komponist als Virtuose ist. Bei Chopin vergesse ich ganz die Meisterschaft des Klavierspiels und versinke in die süßen Abgründe seiner Musik, in die schmerzliche Lieblichkeit seiner ebenso tiefen wie zarten Schöpfungen. Chopin ist der große geniale Tondichter, den man eigentlich nur in Gesellschaft von Mozart oder Beethoven oder Rossini nennen sollte.
In den sogenannten lyrischen Theatern hat es diesen Winter nicht an Novitäten gefehlt. Die Buffos gaben uns »Don Pasquale«, ein neues Opus von Signor Donizetti. Auch diesem Italiener fehlt es nicht an Erfolg, sein Talent ist groß, aber noch größer ist seine Fruchtbarkeit, worin er nur den Kaninchen nachsteht. In der Opéra comique sahen wir »La part du diable«, Text von Scribe, Musik von Auber; Dichter und Komponist passen hier gut zusammen, sie sind sich auffallend ähnlich in ihren Vorzügen wie in ihren Mängeln. Beide haben viel Esprit, viel Grazie, viel Erfindung, sogar Leidenschaft; dem einen fehlt nur die Poesie, wie dem andern nur die Musik fehlt. Das Werk findet sein Publikum und macht immer ein volles
Weitere Kostenlose Bücher