Sämtliche Werke
von Heinrich Heine, welche hier am beliebtesten sind, aber die Texte sind so entsetzlich übersetzt, daß der Dichter herzlich froh war, als er erfuhr, wie wenig die Musikverleger sich ein Gewissen daraus machen, den wahren Autor verschweigend, den Namen eines obskuren französischen Paroliers auf das Titelblatt jener Lieder zu setzen. Es geschah vielleicht auch aus Pfiffigkeit, um nicht an droits d’auteur zu erinnern. Hier in Frankreich gestatten diese dem Dichter eines komponierten Liedes immer die Hälfte des Honorars. Wäre diese Mode in Deutschland eingeführt, so würde ein Dichter, dessen »Buch der Lieder« seit zwanzig Jahren von allen deutschen Musikhändlern ausgebeutet wird, wenigstens von diesen Leuten einmal ein Wort des Dankes erhalten haben. – Es ist ihm aber von den vielen hundert Kompositionen seiner Lieder, die in Deutschland erschienen, nicht ein einziges Freiexemplar geschickt worden! Möge auch einmal für Deutschland die Stunde schlagen, wo das geistige Eigentum des Schriftstellers ebenso ernsthaft anerkannt werde wie das baumwollene Eigentum des Nachtmützenfabrikanten. Dichter werden aber bei uns als Nachtigallen betrachtet, denen nur die Luft angehöre; sie sind rechtlos, wahrhaft vogelfrei!
Ich will diesen Artikel mit einer guten Handlung beschließen. Wie ich höre, soll sich Herr Schindler in Köln, wo er Musikdirektor ist, sehr darüber grämen, daß ich in einem meiner Saisonberichte sehr wegwerfend von seiner weißen Krawatte gesprochen und von ihm selbst behauptet habe, auf seiner Visitenkarte sei unter seinem Namen der Zusatz »ami de Beethoven« zu lesen gewesen. Letzteres stellt er in Abrede; was die Krawatte betrifft, so hat es damit ganz seine Richtigkeit, und ich habe nie ein fürchterlich weißeres und steiferes Ungeheuer gesehen; doch in betreff der Karte muß ich aus Menschenliebe gestehen, daß ich selber daran zweifle, ob jene Worte wirklich darauf gestanden. Ich habe die Geschichte nicht erfunden, aber vielleicht mit zu großer Zuvorkommenheit geglaubt, wie es denn bei allem in der Welt mehr auf die Wahrscheinlichkeit als auf die Wahrheit selbst ankommt. Erstere beweist, daß man den Mann einer solchen Narrheit fähig hielt, und bietet uns das Maß seines wirklichen Wesens, während ein wahres Faktum an und für sich nur eine Zufälligkeit ohne charakteristische Bedeutung sein kann. Ich habe die erwähnte Karte nicht gesehen; dagegen sah ich dieser Tage mit leiblich eignen Augen die Visitenkarte eines schlechten italienischen Sängers, der unter seinem Namen die Worte »neveu de M. Rubini« hatte drucken lassen.
LVII
Paris, 5. Mai 1843
Die eigentliche Politik lebt jetzt zurückgezogen in ihrem Hôtel auf dem Boulevard des Capucines. Industrielle und artistische Fragen sind unterdessen an der Tagesordnung, und man streitet jetzt, ob das Zuckerrohr oder die Runkelrübe begünstigt werden solle, ob es besser sei, die Nordeisenbahn einer Kompanie zu überlassen oder sie ganz auf Kosten des Staates auszubauen, ob das klassische System in der Poesie durch den Sukzeß von »Lucretia« wieder auf die Beine kommen werde; die Namen, die man in diesem Augenblick am häufigsten nennt, sind Rothschild und Ponsard.
Die Untersuchung über die Wahlen bildet ein kleines Intermezzo in der Kammer. Der voluminöse Bericht über diese betrübsame Angelegenheit enthält sehr wunderliche Details. Der Verfasser ist ein gewisser Lanyer, den ich vor zwölf Jahren als einen äußerst ungeschickten Arzt bei seinem einzigen Patienten antraf und der seitdem zum Besten der Menschheit den Äskulapstab an den Nagel gehängt hat. Sobald die enquête beseitigt, beginnen die Debatten über die Zuckerfrage, bei welcher Gelegenheit Herr von Lamartine die Interessen des Kolonialhandels und der französischen Marine gegen den kleinlichen Krämersinn vertreten wird. Die Gegner des Zuckerrohrs sind entweder beteiligte Industrielle, die das Heil Frankreichs nur vom Standpunkt ihrer Bude beurteilen, oder es sind alte abgelebte Bonapartisten, die an der Runkelrübe, der Lieblingsidee des Kaisers, mit einer gewissen Pietät festhalten. Diese Greise, die seit 1814 geistig stehengeblieben, bilden immer ein wehmütig komisches Seitenstück zu unsern überrheinischen alten Deutschtümlern, und wie diese einst für die deutsche Eiche und den Eichelkaffee, so schwärmen jene für die Gloire und den Runkelrübenzucker. Aber die Zeit rollt rasch vorwärts, unaufhaltsam, auf rauchenden Dampfwagen, und die abgenutzten
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