Sämtliche Werke
Kartons zu künftigen roten Löwen beschäftigte. Um mich her war damals viel Gebrülle und Störnis jeder Art.
Bin ich nicht heute sehr bescheiden?
Ihr könnt euch darauf verlassen, die Bescheidenheit der Leute hat immer ihre guten Gründe. Der liebe Gott hat gewöhnlich die Ausübung der Bescheidenheit und ähnlicher Tugenden den Seinen sehr erleichtert. Es ist z.B. leicht, daß man seinen Feinden verzeiht, wenn man zufällig nicht so viel Geist besitzt, um ihnen schaden zu können, so wie es auch leicht ist, keine Weiber zu verführen, wenn man mit einer allzu schäbigen Nase gesegnet ist.
Die Scheinheiligen von allen Farben werden über manches Gedicht in diesem Buche wieder sehr tief seufzen – aber es kann ihnen nichts mehr helfen. Ein zweites, »nachwachsendes Geschlecht« hat eingesehen, daß all mein Wort und Lied aus einer großen, gottfreudigen Frühlingsidee emporblühte, die, wo nicht besser, doch wenigstens ebenso respektabel ist wie jene triste, modrige Aschermittwochsidee, die unser schönes Europa trübselig entblumt und mit Gespenstern und Tartüffen bevölkert hat. Wogegen ich einst mit leichten Waffen frondierte, wird jetzt ein offener ernster Krieg geführt – ich stehe sogar nicht mehr in den ersten Reihen.
Gottlob! die Revolution des Julius hat die Zungen gelöst, die so lange stumm geschienen; ja, da die plötzlich Erweckten alles, was sie bis dahin verschwiegen, auf einmal offenbaren wollten, so entstand viel Geschrei, welches mir mitunter gar unerfreulich die Ohren betäubte. Ich hatte manchmal nicht übel Lust, das ganze Sprechamt aufzugeben; doch das ist nicht so leicht tunlich wie etwa das Aufgeben einer geheimen Staatsratstelle, obgleich letztere mehr einbringt als das beste öffentliche Tribunat. Die Leute glauben, unser Tun und Schaffen sei eitel Wahl, aus dem Vorrat der neuen Ideen griffen wir eine heraus, für die wir sprechen und wirken, streiten und leiden wollten, wie etwa sonst ein Philolog sich seinen Klassiker auswählte, mit dessen Kommentierung er sich sein ganzes Leben hindurch beschäftigte – nein, wir ergreifen keine Idee, sondern die Idee ergreift uns und knechtet uns und peitscht uns in die Arena hinein, daß wir, wie gezwungene Gladiatoren, für sie kämpfen. So ist es mit jedem echten Tribunat oder Apostolat. Es war ein wehmütiges Geständnis, wenn Amos sprach zu König Amazia: »Ich bin kein Prophet noch keines Propheten Sohn, sondern ich bin ein Kuhhirt, der Maulbeeren ablieset; aber der Herr nahm mich von der Schafherde und sprach zu mir: ›Gehe hin und weissage.‹« Es war ein wehmütiges Geständnis, wenn der arme Mönch, der vor Kaiser und Reich zu Worms angeklagt stand, ob seiner Lehre, dennoch, trotz aller Demut seines Herzens, jeden Widerruf für unmöglich erklärte und mit den Worten schloß: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen!«
Wenn ihr diese heilige Zwingnis kenntet, ihr würdet uns nicht mehr schelten, nicht mehr schmähen, nicht mehr verleumden – wahrlich, wir sind nicht die Herren, sondern die Diener des Wortes. Es war ein wehmütiges Geständnis, wenn Maximilian Robespierre sprach: »Ich bin ein Sklave der Freiheit.«
Und auch ich will jetzt Geständnisse machen. Es war nicht eitel Lust meines Herzens, daß ich alles verließ, was mir Teures im Vaterland blühte und lächelte – mancher liebte mich dort, z.B. meine Mutter –, aber ich ging, ohne zu wissen warum; ich ging, weil ich mußte. Nachher ward mir sehr müde zumute; so lange vor den Juliustagen hatte ich das Prophetenamt getrieben, daß das innere Feuer mich schier verzehrt, daß mein Herz von den gewaltigen Worten, die daraus hervorgebrochen, so matt geworden wie der Leib einer Gebärerin –
Ich dachte – habt meiner nicht mehr nötig, will auch einmal für mich selber leben und schöne Gedichte schreiben, Komödien und Novellen, zärtliche und heitere Gedankenspiele, die sich in meinem Hirnkasten angesammelt, und will mich wieder ruhig zurückschleichen in das Land der Poesie, wo ich als Knabe so glücklich gelebt.
Und keinen Ort hätte ich wählen können, wo ich besser imstande war, diesen Vorsatz in Ausführung zu bringen. Es war auf einer kleinen Villa dicht am Meer, nah bei Havre de Grâce, in der Normandie. Wunderbar schöne Aussicht auf die große Nordsee; ein ewig wechselnder und doch einfacher Anblick; heute grimmer Sturm, morgen schmeichelnde Stille, und drüberhin die weißen Wolkenzüge, riesenhaft und abenteuerlich, als wären es
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