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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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den Betstuben mancher Glaubenssekten bemerken; aber er wollte solches keineswegs irgendeiner religiösen Andacht zuschreiben. Er erklärte die Sache physiologisch: er bemerkte, daß der Walfisch, der Chimborasso der Tiere, unter seiner Haut eine so ungeheuer tiefe Schichte von Fett besitze, daß oft ein einziger Walfisch hundert bis hundertundfunfzig Fässer Talg und Tran gebe. Jene Fettschichte sei so dick, daß sich viele hundert Wasserratten darin einnisten können, während das große Tier auf einer Eisscholle schliefe, und diese Gäste, unendlich größer und bissiger als unsre Landratten, führen dann ein fröhliches Leben unter der Haut des Walfisches, wo sie Tag und Nacht das beste Fett verschmausen können, ohne das Nest zu verlassen. Diese Schmausereien mögen wohl am Ende dem unfreiwilligen Wirte etwas überlästig, ja unendlich schmerzhaft werden; da er nun keine Hände hat, wie der Mensch, der sich gottlob kratzen kann, wenn es ihn juckt, so sucht er die innere Qual dadurch zu lindern, daß er sich an die scharfen Kanten einer Eiswand stellt und daran den Rücken durch Auf- und Niederbewegungen recht inbrünstiglich reibt, ganz wie bei uns die Hunde sich an einer Bettstelle zu scheuern pflegen, wenn sie mit zuviel Flöhen behaftet sind. Diese Bewegungen hat nun der ehrliche Domine für die eines Beters gehalten und sie der religiösen Andacht zugeschrieben, während sie doch nur durch die Rattenorgien hervorgebracht wurden. »Der Walfisch, soviel Tran er auch enthält«, schloß Niels Andersen, »ist doch ohne den mindesten religiösen Sinn. Er ehrt weder die Heiligen noch die Propheten, und sogar den kleinen Propheten Jonas, den solch ein Walfisch einmal aus Versehen verschluckte, konnte er nimmermehr verdauen, und nach dreien Tagen spuckte er ihn wieder aus. Das vortreffliche Ungeheuer hat leider keine Religion, und so ein Walfisch verehrt unsern wahren Herrgott, der droben im Himmel wohnt, ebensowenig wie den falschen Heidengott, der fern am Nordpol auf der Kanincheninsel sitzt, wo er denselben zuweilen besucht.«
    »Was ist das für ein Ort, die Kanincheninsel?« fragte ich unsern Niels Andersen. Dieser aber trommelte mit seinem Holzbein auf der Tonne und erwiderte: »Das ist eben die Insel, wo die Geschichte passiert, die ich zu erzählen habe. Die eigentliche Lage der Insel kann ich nicht genau angeben. Niemand konnte, seit sie entdeckt worden, wieder zu ihr gelangen; solches verhinderten die ungeheuern Eisberge, die sich um die Insel türmen und vielleicht nur selten eine Annäherung erlauben. Nur die Schiffsleute eines russischen Walfischjägers, welche einst die Nordstürme so hoch hinauf verschlugen, betraten den Boden der Insel, und seitdem sind schon hundert Jahre verflossen. Als jene Schiffsleute mit einem Kahn dort landeten, fanden sie die Insel ganz wüst und öde. Traurig bewegten sich die Halme des Ginsters über dem Flugsand; nur hie und da standen einige Zwergtannen, oder es krüppelte am Boden das unfruchtbarste Buschwerk. Eine Menge Kaninchen sahen sie umherspringen, weshalb sie dem Orte den Namen Kanincheninsel erteilten. Nur eine einzige ärmliche Hütte gab Kunde, daß ein menschliches Wesen dort wohnte. Als die Schiffer hineintraten, erblickten sie einen uralten Greis, der, kümmerlich bekleidet mit zusammengeflickten Kaninchenfellen, auf einem Steinstuhl vor dem Herde saß und an dem flackernden Reisig seine magern Hände und schlotternden Knie wärmte. Neben ihm zur Rechten stand ein ungeheuer großer Vogel, der ein Adler zu sein schien, den aber die Zeit so unwirsch gemausert hatte, daß er nur noch die langen struppigen Federkiele seiner Flügel behalten, was dem nackten Tiere ein höchst närrisches und zugleich grausenhaft häßliches Aussehen verlieh. Zur linken Seite des Alten kauerte am Boden eine außerordentlich große, haarlose Ziege, die sehr alt zu sein schien, obgleich noch volle Milcheutern mit rosig frischen Zitzen an ihrem Bauche hingen.
    Unter den russischen Seeleuten, welche auf der Kanincheninsel landeten, befanden sich mehrere Griechen, und einer derselben glaubte nicht von dem Hausherrn der Hütte verstanden zu werden, als er in griechischer Sprache zu einem Kameraden sagte: ›Dieser alte Kauz ist entweder ein Gespenst oder ein böser Dämon.‹ Aber bei diesen Worten erhub sich der Alte plötzlich von seinem Steinsitz, und mit großer Verwunderung sahen die Schiffer eine hohe, stattliche Gestalt, die sich trotz dem hohen Alter mit gebietender, schier

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